Überambitioniert: Palmetshofer-Uraufführung am Akademietheater
Wien (APA) - Viele tolle Ideen, die in der Masse einander weniger verstärken als lähmen und letztlich aufheben - das ist das Resümee der neu...
Wien (APA) - Viele tolle Ideen, die in der Masse einander weniger verstärken als lähmen und letztlich aufheben - das ist das Resümee der neuen Palmetshofer-Uraufführung gestern, Sonntag, Abend im Akademietheater. Der oberösterreichische Autor schlägt in „die unverheiratete“ den Bogen von „Elektra“ bis zur NS-Justiz, der deutsche Regisseur Robert Borgmann erschlägt einen mit einer endlosen Bilderfolge.
„Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen / Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus / Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ Ihren „Faust“ kennen beide gut: Palmetshofer hat eine Weiterschreibung des Goethe-Dramas verfasst („faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ ist auch Teil des soeben erschienenen Sammelbands seiner Stücke), Borgmann hat zu Jahresbeginn in Mainz den „Urfaust“ inszeniert. Das Rezept aus der „Faust“-Vorrede geht diesmal dennoch nicht auf.
Generalthema ist eine Schuld, die über Generationen weitergegeben wird. Eine heute alte Frau hat in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkriegs offenbar einen heimkehrenden Soldaten als Deserteur an die NS-Justiz ausgeliefert und wurde dafür später verurteilt. Das Gerichtsverfahren, die als Unrecht empfundene Verurteilung und die anschließende Haft lastet schwer auf ihrem Leben und das ihrer Tochter und ihrer Enkelin, die in ihrer Suche nach Aufklärung auf Verweigern und Verdrängen stoßen. Dazu kommen jeweils klassische Mutter-Tochter-Konflikte. Einfache Charaktere sind sie alle nicht, weder „die Junge“ noch „die Mittlere“ und schon gar nicht „die Alte“, und Borgmann (der mit seinem Stuttgarter „Onkel Wanja“ 2014 zum Theatertreffen eingeladen war) tut bei seinem Wien-Debüt nichts dazu, die Dinge engzuführen, sondern reiht Einfall an Einfall.
Das beginnt mit dem vom Regisseur selbst entworfenen Bühnenbild, das ein auf drei Seiten (rechte und linke Seitenwand sowie Plafond) aus Neonröhren-Wänden gebildeter Raum ist, der als Ganzes gegen Ende auch Richtung Lusterboden entschweben kann, und der nach vorne Richtung Zuschauer und nach hinten Richtung Feuermauer mit immer wieder auf- und niederschwebenden roten Theatervorhängen fast unablässig in Bewegung gehalten wird. Das pulsierende Blut, das man da hineininterpretieren kann, wird Christiane von Poelnitz, die als Elektra-Wiedergängerin den Abend mit dem Schwingen der Axt eröffnet, am Ende aus einem Kübel über den Kopf geschüttet.
Es geht um Blutschuld und Tragödie, und die Nornen beim Spinnen der Schicksalsfäden können aus den vielen Bildern ebenso herausgelesen werden wie die rasenden Erinnyen. Petra Morze, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt und Alexandra Henkel sind als „Schwestern (die Hundsmäuligen)“ Chor, Kommentatorinnen und Erzählerinnen in einem und werden von Kostümbildnerin Janina Brinkmann in jeder zweiten Szene in andere Kostüme gesteckt - von weißen Spitzenkleidern mit gedrehten Locken-Frisuren, die einen Ausflug in die Gothic-Horror-Welt vergangener Jahrhunderte suggerieren, über strenge, zu den Gerichtsszenen passende Business-Outfits bis zu grotesken Krankenschwester-Trachten von einst.
Im Raum, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: ein einfacher Holztisch samt vier Stühlen; viel frische schwarze Erde, angehäuft zu einer Reihe von Gräbern oder Beeten; ein alter Fauteuil samt Stehlampe; ein langsam vor sich hinschmelzender Eisblock; zwei gelegentlich halb zugezogene halb transparente Plastik-Zwischenvorhänge; eine Hintertür, die einen Ausweg suggeriert, aber nur in einen Mini-Vorraum führt, der seinerseits wieder durch eine Seitentür zu betreten ist.
In diesem verwirrenden Ambiente sieht man zweieinviertel Stunden einem superben Damenensemble beim Spielen zu, aus dem die Jüngste und die Älteste hervorstechen: Stefanie Reinsperger zeigt als junge Frau mit nymphomanischen Anwandlungen wie schon in der „Lächerlichen Finsternis“ höchste Wandlungsfähigkeit und Präsenz, besticht nicht nur mit Ganzkörpereinsatz, sondern auch mit gefühlvollem Harmonikaspiel. Im Zentrum steht aber Elisabeth Orth, die ihre Rolle der nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingelieferten Alten mit düsterer Nazi-Vergangenheit von Kirsten Dene übernommen hat. Grimmig und grantig, säuselnd und schmeichelnd schlägt sie sich mit Tochter, Enkeltochter und dem Betreuungspersonal herum und flüchtet immer mehr aus dieser Welt, die ihr keinen Seelenfrieden gönnen will. Der allmählich ermüdenden Palmetshofer‘schen Kunstsprache gibt sie deutlich dialektale Züge.
Zu Recht stand Orth am Ende im Mittelpunkt des ausdauernden Premierenjubels, der dem tollen Ensemble, aber auch Autor und Regisseur galt. Viele, die im Laufe dieses überambitionierten und mit Fortdauer zunehmend ermüdenden Abends weggedämmert schienen, waren da wieder hellwach. Man gönnt dem zuletzt so gebeutelten Haus von Herzen einen Erfolg - auch wenn dieser keineswegs so eindeutig war, wie der Schlussapplaus Glauben machte.
(S E R V I C E - Ewald Palmetshofer: „die unverheiratete“, Regie und Bühne: Robert Borgmann, Kostüme: Janina Brinkmann, Musik: webermichelson, Mit Stefanie Reinsperger, Christiane von Poelnitz, Elisabeth Orth, Petra Morze, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt und Alexandra Henkel. Akademietheater, Uraufführung, Weitere Aufführungen: 17., 22., 30.12., 3., 11., 13.1., Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at; Ewald Palmetshofer: „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“, Fischer Taschenbuch, 512 S., 15,50 Euro. Buchpräsentation am 17.1., 20 Uhr, im Schauspielhaus Wien)