20 Jahre EU-Beitritt - Öffnung des Energiemarktes brachte Wettbewerb
Wien (APA) - Am Energiemarkt hat der österreichische EU-Beitritt und die damit einhergehende Liberalisierung massive Veränderungen gebracht....
Wien (APA) - Am Energiemarkt hat der österreichische EU-Beitritt und die damit einhergehende Liberalisierung massive Veränderungen gebracht. Aus Tarifabnehmern wurden Kunden, Gebietsschutz und Strompreisanträge fielen und der Wettbewerb zog ein. Die Preise sanken - für Großkunden stärker als für Haushalte. Der Service wurde besser. Die Konsumentenrechte wurden gestärkt und die Unternehmen effizienter.
Auf EU-Ebene erfolgte die Einigung auf die Liberalisierung des Strommarktes im Jahr 1996. In Österreich wurden 1998 die gesetzlichen Grundlagen für die Strommarktöffnung beschlossen. Industriekunden konnten ab 1999 ihren Stromlieferanten frei wählen, Haushalts- und Gewerbekunden ab Oktober 2001. Die völlige Gasmarktöffnung trat im Oktober 2002 in Kraft.
Um für alle Anbieter gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, wurden die Unternehmen mit dem sogenannten „Unbundling“ zur Trennung von Netz sowie Vertrieb und Erzeugung verpflichtet. Damit wurde auch Dritten der Zugang zum Energietransport über die Strom- und Gasleitungen ermöglicht. Die Netze sind nach wie vor im Monopolbereich, die Tarife werden von der Energieregulierungsbehörde E-Control festgelegt. Berücksichtigt werden dabei auch Investitionen sowie eine gewisse Kapitalverzinsung für die Unternehmen.
Die Kundenorientierung sei stark gestiegen, betonen die beiden E-Control-Vorstände Walter Boltz und Martin Graf zur APA. Vor der Liberalisierung sei man Tarifabnehmer gewesen, nun ein Kunde, „der das Recht hat zu wechseln und auch als Kunde behandelt zu werden“, so Boltz. Die Konsumentenrechte seien verbessert worden. Die Stromrechnung sei leichter lesbar. Zurückgedrängt worden sei der Einfluss der Politik. Eine dezentrale Erzeugung wäre ohne EU-Beitritt nicht gekommen. Ein Erfolg der Liberalisierung sei auch, dass es ohne Integration mit dem deutschen Markt keine so niedrigen Strompreise geben würde.
Die Stromrechnung der Haushalte hat sich seit 2001 verbilligt, vor allem wegen der Senkung der Netztarife. Für Industriekunden fielen die Preissenkungen kräftiger aus. Laut E-Control haben sich Österreichs Stromkunden seit der Liberalisierung rund 1,2 Mrd. Euro pro Jahr erspart, rund 1 Mrd. Euro davon entfällt auf Großkunden.
„Die Haushalte haben vom Wettbewerb bisher kaum profitiert“, sagt Graf. Die Energierechnung für den Haushalt besteht aus drei Teilen, rund 40 Prozent entfallen aktuell auf den Energieteil, 25 auf die standortabhängigen Netzgebühren und rund 35 Prozent auf Steuern und Abgaben wie beispielsweise die Ökostromabgabe. Sicher profitiert habe der Finanzminister - Erdgas- und Elektrizitätsabgabe hätten sich verdoppelt. Die Unternehmen seien effizienter geworden.
Für Haushaltskunden sei die Strom-Netzrechnung um 35 bis 40 Prozent niedriger, eine der größten Entlastungen in diesem Segment, so Boltz. Wer auch den Anbieter gewechselt hat, habe noch mehr lukrieren können. Ein durchschnittlicher Haushalt in Wien oder Niederösterreich zahle derzeit um rund 80 Euro weniger fürs Netz als 2001, betont Graf.
Die freie Lieferantenwahl kam in Österreich im Haushaltsbereich aber nur zögerlich an. Insgesamt haben bisher rund 11 Prozent ihren Stromlieferanten gewechselt. Aktuell liege das Sparpotenzial beim Wechsel des Strom- und Gaslieferanten bei bis zu 500 Euro. Das sei der höchste Wert seit der Liberalisierung, so Graf. Es sei zehn Minuten Mühe wert, sich mit der Strom- und Gasrechnung auseinanderzusetzen.
Der Industriestrompreis begann schon im Vorfeld der Liberalisierung zu sinken. Der Tiefpunkt war mit der völligen Liberalisierung 2001/2002 erreicht, als sich der Energiepreis für einen Wiener Industriebetrieb halbierte. Ab 2003 kam es dann bedingt durch höhere Rohöl- und Gaspreise wieder zu einem Anstieg. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) aus dem Jahr 2011 wäre der Strompreis für die Industriekunden um rund 56 Prozent höher gewesen. Selbst wenn man das bis heute fortschreibe, sei es wohl ein Drittel, meint Graf.
Auch die Volkswirtschaft hat profitiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wäre ohne die Strom- und Gasmarktliberalisierung um etwa 1 Prozent oder 3 Mrd. Euro niedriger, wie das Wifo 2011 errechnet hat. In der E-Wirtschaft gingen wegen Marktverwerfungen zwar in Summe 5.000 Arbeitsplätze verloren, außerhalb der E-Wirtschaft kamen aber rund 8.000 Jobs dazu, etwa im Bereich der Zulieferer.“Billigere Energie hat zur Standortverbesserung beigetragen“, sagt Boltz. Laut Statistik Austria waren 2013 in der heimischen Elektrizitätswirtschaft im Jahresdurchschnitt etwas mehr als 25.000 Personen beschäftigt, in der Gasversorgung etwas mehr als 1.800 und weitere rund 2.000 in der Wärme- und Kälteversorgung.
Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) haben sich an die neuen Bedingungen angepasst. Aus dem Verbund heißt es zur APA, dass durch die Marktöffnung nicht nur die Unternehmen, sondern auch die gesamte Stromversorgung effizienter geworden sei. Aktuell sei ein Trend zurück in die Zeit vor der Liberalisierung festzustellen, der europäische Strommarkt sei heute wieder zunehmend fragmentiert und weise unterschiedliche Marktdesigns, Fördersysteme und Regulierungen auf. Man habe die Chancen genutzt und als einer der ersten neuen Stromanbieter wesentlich zum Erfolg der Liberalisierung beigetragen. Der börsennotierte Verbund hat zuvor nur Strom an die Landesenergieversorger verkauft und ist im Zuge der Marktöffnung auch ins Endkundengeschäft eingestiegen. Mittlerweile hat Österreichs größter Stromerzeuger 314.000 Endkunden und verkauft seit November auch Gas an Haushalte und Kleingewerbe.
Die Wien Energie sehe die Auswirkungen der Liberalisierung überwiegend positiv, heißt es aus Österreichs größtem Landesversorger zur APA. Der Markt sei dynamischer, die Kunden seien mobiler geworden. Es gebe eine größerer Vielfalt an attraktiven Tarifen, Produkten und Dienstleistungen. „Das bringt den Kunden nachweislich Preisvorteile, hat aber auch den Effekt dass sich die Kunden wesentlich intensiver mit dem Energiethema beschäftigen müssen.“
Aus der börsennotierten niederösterreichischen EVN heißt es, die Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Produkten, Dienstleistungen und Anbietern habe Vorteile für die Kunden wie ein attraktives Preisangebot und besseres Service gebracht. Zu den Schattenseiten der Liberalisierung zählten unter anderem die damit einhergehende Überregulierung, und die nachteiligen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit kämen nun zeitverzögert zum Tragen.
Auch im Gasbereich hätten die Großkunden mehr profitiert, es habe aber auch einen Spillover für Haushalte gegeben, so Boltz. Bei der Gasversorgung habe man es als EU geschafft, die Ölpreisbindung zu brechen. Damit habe man sich vor geopolitisch induzierten Preissteigerungen etwas abgekoppelt. Durch die Diversifizierung am Gasmarkt könne man Lieferunterbrechungen auch ohne große Preissprünge verkraften. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ukraine/Russland-Krise weist Boltz auch darauf hin, dass es nicht schlecht sei, in der EU zu sein und damit Unterstützung und Solidarität zu haben.
Als künftige Themen für Europas E-Wirtschaft sieht Graf unter anderem die Integration der Märkte, den Netz- und Infrastrukturausbau sowie Steigerungen der Energieeffizienz. Die Kundenorientierung werde weiter zunehmen. Eine zentrale Rolle werde auch die Digitalisierung und damit ein Zusammenwachsen der Energienetze mit den Telekomnetzen spielen.