„Schauen, sprechen, schreiben, weinen“: Friederike Mayröcker wird 90

Wien (APA) - Sie zählt zu den am höchsten dekorierten heimischen Schriftstellern, ihr umfangreiches wie eigenwilliges Werk wächst nach wie v...

Wien (APA) - Sie zählt zu den am höchsten dekorierten heimischen Schriftstellern, ihr umfangreiches wie eigenwilliges Werk wächst nach wie vor jährlich an: Friederike Mayröcker, mit ihrer schwarz verhüllten Gestalt und ihrer zettelübersäten Wohnung zur lebenden Legende geworden, feiert am Samstag (20.12.) ihren 90. Geburtstag. Das Akademietheater lädt abends zur Uraufführung von „Requiem für Ernst Jandl“.

Akustische Einblicke in das Lyrik- und Prosa-Werk der Poetin gibt an ihrem Geburtstag auch Ö1, wo man über den Tag verteilt nicht nur von Mayröcker vorgetragene Gedichte, sondern unter anderem auch ein Porträt („Meinen Schatten wirft ein Fliederbaum“, ab 9.05 Uhr), ein Hörspiel („Das zu Sehende, das zu Hörende“, ab 14 Uhr) sowie ein Gespräch mit der Jubilarin sendet. Am Abend erklingt dann im Akademietheater die Vertonung jener poetischen Totenklage, die die Autorin unmittelbar nach dem Verlust ihres Gefährten Ernst Jandl im Frühsommer 2000 verfasst hat. Zur Musik von Lesch Schmidt steht die Schauspielerin Dagmar Manzel auf der Bühne, Mayröckers Stimme, die aus dem „Requiem“ vorträgt, kommt vom Band.

Als „bekannt, aber nicht gekannt“ bezeichnete ein Literaturwissenschafter einmal die u.a. mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit Stern (2014), dem Großen Österreichischen Staatspreis (1982) und dem Georg-Büchner-Preis (2001) ausgezeichnete Dichterin, die vielfach bewundert, aber nur von wenigen wirklich gelesen wird. „Ich lebe nur in Sprache“, bekennt Mayröcker, der Leben und Literatur eins sind, immer wieder: „Ich kann alles durch meine Augen in mich aufnehmen und aus mir herausschreiben.“

Seit fast sechs Jahrzehnten entstehen so in dichter Folge Prosa- und Lyrikbände. „Das Gedichte Schreiben ist so eine Art Aquarellieren, das Prosa Schreiben ist eine harte Kunst wie eine Skulptur Anfertigen“, schilderte Mayröcker, deren zweite Liebe der Bildenden Kunst gehört, einmal in einem APA-Interview. „Es sind zwei wirklich ganz verschiedene Zugehensweisen, und ich fühle das auch im Körper ganz anders.“ Der letzte als Lyrik ausgewiesene Band erschien 2012 mit „Von den Umarmungen“, die zuletzt erschienenen Werke betitelt der Suhrkamp-Verlag, bei dem Mayröckers Werk seit 1979 erschient, selbst als „prosaische Gedichte und lyrische Prosastücke“. Aus dem jüngst erschienenen Mayröcker-Jahrbuch „Cahier“, in dem die Dichterin - wie schon im Vorgängerband „études“ - in chronologischer Abfolge, mit Datum versehen, Wahrnehmung und Dichtung ineinanderfließen lässt, liest sie am morgigen Mittwochabend in der Alten Schmiede.

1924 in Wien als Tochter eines Lehrers und einer Modistin geboren, wurde Mayröcker als Kind wegen ihrer zarten Gesundheit stark von der Außenwelt abgeschirmt. Bereits als 15-Jährige begann sie kurze emotionale Prosatexte zu schreiben. In der Literaturzeitschrift „Plan“ veröffentlichte sie 1946 erste Gedichte. Im selben Jahr begann sie als Englischlehrerin an Wiener Hauptschulen zu unterrichten. „Ich war eine schlechte Pädagogin. Ich wollte nie diesen Lehrberuf ausüben, aber meine Eltern haben gemeint, dass das ein für mich geeigneter Brotberuf wäre“, erinnert sich Mayröcker, die noch heute von Schreckensträumen verfolgt wird: „Es fehlt ein Kollege oder eine Kollegin und ich muss supplieren!“ Ein 1950 begonnenes Germanistik-Studium musste sie abbrechen, weil ihre Lehrerinnentätigkeit die wirtschaftliche Basis der Familie sicherte. Nach einigen vorübergehenden Beurlaubungen konnte sie erst 1969 aus dem Schuldienst ausscheiden und sich ganz dem Schreiben widmen.

1951 stieß Mayröcker zu einem Kreis junger Autoren um Hans Weigel, dem u.a. Ingeborg Bachmann und Hertha Kräftner angehörten. Sie lernte Andreas Okopenko kennen und 1954 Ernst Jandl, der die nächsten Jahrzehnte ihr „Hand- und Herzgefährte“ war. Sein Tod im Jahr 2000 erschütterte die Dichterin tief, ihre Trauerarbeit schlug sich in zahlreichen Büchern nieder. Ehe Mayröcker sich experimentelle Techniken der Collage, Montage, Assoziations- und Traumarbeit aneignete, erschien 1956 „Larifari. Ein konfuses Buch“ mit Prosaskizzen der vorexperimentellen Phase. 1964 erschien ihr schmaler Gedichtband „metaphorisch“, 1966 schließlich brachte Rowohlt die umfangreiche Gedichtauswahl „Tod durch Musen“ heraus: „Da habe ich gedacht: Vielleicht ist das wirklich mein Weg“, sagte die Dichterin rückblickend. Zwischen 1967 und 1971 verfasste Mayröcker eine Reihe von Hörspielen, vier davon gemeinsam mit Jandl, darunter das 1968 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnete „Fünf Mann Menschen“.

Nach den beiden experimentellen Prosabüchern „Minimonsters Traumlexikon“ (1968) und „Fantom Fan“ (1971) wandte Mayröcker sich vom „experimentellen Purismus“ ab, um wieder mehr Erfahrungswirklichkeit in ihre Arbeit zu integrieren. Diesen Einschnitt markiert die Erzählung „je ein umwölkter gipfel“ (1973). In der Folge versuchte die Dichterin, eine „neue experimentelle Romanform“ zu entwickeln. Mit suggestiver, metaphorisch geprägter Prosa von lyrischem Charakter löste sie herkömmliche Vorstellungen von erzählender Literatur, Geschichte und Identität auf und beeinflusste damit junge Autoren im gesamten deutschen Sprachraum.

Mayröckers große Prosa-Arbeiten - etwa „Die Abschiede“ (1980), „Das Herzzerreißende der Dinge“ (1985), „mein Herz mein Zimmer mein Name“ (1988), „brütt oder Die seufzenden Gärten“ (1998), „Und ich schüttelte einen Liebling“ (2005) oder „Ich bin in der Anstalt. Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk“ (2010) - sind „keine Autobiografie, dennoch authentisch“, wie die Autorin es einmal charakterisiert hat. Im Prosaband „Die kommunizierenden Gefäße“ heißt es über ihren literarischen Alltag: „Ich beginne den Tag indem ich versuche, jegliche kleinste Verrichtung, jeden Handgriff, zu verbalisieren, das ist 1 Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf (...)“.

Mayröckers gesammeltes lyrisches Werk umfasst viele hundert Seiten, zuletzt kamen unter dem Titel „dieses Jäckchen (nämlich) des Vogels Greif“ die 2004 bis 2009 entstandenen Gedichte hinzu. Im letzten dort abgedruckten Text, der aus dem März 2009 stammt, heißt es: „ich / habe ja erst angefangen zu schauen zu sprechen zu schreiben zu weinen“.

(A V I S O - Die APA hat am 11. November 2014 unter APA045 eine Meldung zu geplanten Veranstaltungen rund um den Geburtstag versendet. B I L D A V I S O - Bilder von Friederike Mayröcker wurden zuletzt am 21.11. über den AOM verbreitet und sind dort abrufbar.)