Leokino

Augenmenschen sind keine Plaudertaschen

Ein frühes Selbstporträt von Fritz Lang, gezeichnet 1917 und offensichtlich orientiert am Stil seines Lieblingsmalers Egon Schiele.
© Privatarchiv

Ein Standardwerk: Der deutsche Filmwissenschafter Norbert Grob hat eine grundlegende Biografie des Kinovisionärs Fritz Lang geschrieben.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Zum Start einer Rakete gehört, das vermag jetzt nicht wirklich zu überraschen, der Countdown. Erfunden hat dieses Ritual allerdings keine Raumfahrtbehörde, sondern der am 5. Dezember 1890 in Wien geborene Regisseur Fritz Lang. Für seinen 1929 in den Berliner Ufa-Ateliers gedrehten Science-Fiction-Film „Frau im Mond“. Auch das überrascht nur bedingt, denn Fritz Lang war nicht nur visionärer Bildkompositeur, sondern zudem genauer Rechercheur. Es waren beglaubigte Fakten, die seine mitunter hochtrabenden Werke erdeten. Für seinen ersten Tonfilm „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ beispielsweise verarbeitete Lang Ermittlungs- und Prozessakten authentischer Mordfälle.

Nur für eines interessierte sich Lang, der zwischen 1919 und 1933 mit „Dr. Mabuse, der Spieler“, den „Nibelungen“ und „Metropolis“ zeitlose Klassiker des Weimarer Kinos schuf, zunächst nicht. Für die Politik. Mit dem Desinteresse eines Schlafwandlers habe er den Aufstieg der Nazis beobachtet, gestand er später. Erst als ihm Propagandaminister Goebbels eine führende Funktion in der NS-Filmbranche anbot, kam ihm der Fluchtgedanke. Ganz so überstürzt, wie es Lang gern­e selbst darstellte, war seine Abreise nach Frankreich freilich nicht. „Pure Fiktion“, schreibt der Mainzer Filmwissenschafter Norbert Grob in seiner neuen Lang-Biografie „Ich bin ein Augenmensch“. Der Filmemacher plante seinen Abschied minutiös. Genauso wie eine Trickaufnahme im Studio.

Ein anderes Rätsel kann aller­dings auch Grob nicht lösen: Was geschah am 25. September 1920? Fakt ist lediglich, dass Langs erste Frau, Lisa Rosenthal, kurz nachdem sie von der Affäre ihres Mannes mit seiner Mitarbeiterin Thea von Harbou erfuhr, einer Schusswunde erlag. Und dass die Kugel aus dem Browning-Revolver des Regisseurs abgefeuer­t wurde. Mord? Selbstmord? Ein Unglücksfall? Man wird es wohl nie erfahren. Nach seiner Einvernahme durch die Polizei jedenfalls beschloss Lang, zum Tagebuchschreiber zu werden. Fortan notierte er penibel jedes Treffen. Man kann ja nie wissen, wann man das nächst­e Alibi braucht.

Aus Langs Notizen und genauer Quellenkenntnis (729 Anmerkungen belegen die umfassende Recherche) komponiert Norbert Grob eine brillante Biografie, die das Bild eines Künstlers in widersprüchlichen Zeiten zeichnet: Während sich Lang mit knausrigen Studiobossen abmüht, wurden seine frühen Filme von der New Yorker Intelligenzija musealisiert. Während er ander­e Exilanten, wie Bertolt Brecht, der die Vorlage zu Langs „Auch Henker sterben“ (1943) lieferte, unterstützte und in den Fokus der Kommunisten-Jäger um Senator Joseph McCarthy kam, stilisierte ihn Filmtheoretiker Siegfried Kracauer zeitgleich zum geistigen Wegbereiter der NS-Diktatur.

Viel lässt sich durch Grobs maßgebende Aufarbeitung nicht nur über den Menschen und Künstler Fritz Lang in Erfahrung bringen, sondern auch über sein Umfeld, über Produktions- und Rezeptionsbedingungen seiner und anderer Werke, über Einflüsse und überraschende Freundschaften. Dass Lang, der darum bemüht war, sich mit der amerikanischen Kulturindustrie, „die nicht nach Manuskripten arbeitet, sondern nach Rezepten“, zu arrangieren, im großen Kulturindustrie-Verächter Theodor Adorno einen Freund fürs Leben fand, verblüfft beispielsweise. Dass das epochal­e Treffen mit den anderen Regie-Giganten John Ford und Jean Renoir 1970 zwar feuchtfröhlich, aber wortkarg ausfiel, nicht. „Augenmenschen“ sind keine Plaudertaschen.

Biografie Norbert Grob: Fritz Lang – „Ich bin ein Augenmensch“. Propyläe­n, 448 Seiten, 26,80 Euro. Film: Fritz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ist am Sonntag, 28. Dezember, um 11 Uhr im Innsbrucker Leokino zu sehen.

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