Bürgerproteste für Ablöse Orbans in Ungarn werden stärker

Budapest (APA) - Der Kossuth-Platz vor dem Parlament in Budapest ist in den vergangenen Wochen immer öfter zum Schauplatz von Demonstratione...

Budapest (APA) - Der Kossuth-Platz vor dem Parlament in Budapest ist in den vergangenen Wochen immer öfter zum Schauplatz von Demonstrationen gegen die rechtskonservative Regierung von Premier Viktor Orban geworden. Tausende Menschen versammelten sich vor dem Hohen Haus an der Donau, hinter dessen Mauern eine starke Regierungspartei gegen eine schwache Opposition regiert.

Protestiert wird gegen Korruption, Günstlingswirtschaft, Steuerpolitik, Sozialabbau. Trotzdem eröffnete Orban immer neue Fronten im politischen Kampf. Während die Welle der Bürgerproteste rollt, regen sich auch innerhalb der Orban-Partei bisher unvorstellbare zaghafte Proteste, wie gegen den verbindlichen Drogentest für Teenager, Politiker und Journalisten.

Das Lager der Unzufriedenen wächst. Frust, Empörung und auch Mut führen die Menschen auf die Straße. Eine außerparlamentarische Opposition formiert sich. Ihre Rufe „Orban hau ab“ werden immer lauter. Ebenso Forderungen nach einer neuen politischen Kraft. Inmitten des massiven Unmutes sprechen die organisierenden Facebook-Gruppen von einem Aufbruch, stellen aber auch die Frage „Wie weiter?“. Zum politischen Forum soll der Platz vor dem Parlament werden, auf dem keine EU-Flagge mehr weht. Parlamentspräsident Laszlo Köver hatte sie verbannt.

Die Welle der Empörung bricht sich 25 Jahre nach der politischen Wende ihren Weg. Die Hoffnung auf ein besseres Leben hätte sich für viele Menschen nicht erfüllt, erklärte Gabor Szabo von der „Bewegung Parlament“. Diese Menschen erwarten eine Alternative, ein Programm. Eine große Verantwortung für die Protestakteure. Sie haben sich programmatisch das Motto „Europa“ auf die Fahnen geschrieben und wollen unter diesem die Ablöse Orbans erreichen. „Ein Tiger frisst kein Grünzeug“, begründete Szabo im Oppositionssender Klubradio die Notwendigkeit der Abschaffung der „korrupten Macht“.

Die Organisation Transparency International in Ungarn spricht von Oligarchen und regierungsnahen Unternehmern, die mit staatlichen Geldern finanziert würden. Werden Unternehmer jedoch zu mächtig, sollen sie abgeschaltet werden, wie Lajos Simicska, einst Schatzmeister von Fidesz-MPSZ, Orban-Freund und heute der größte ungarische Medienmogul.

Der Schulterschluss Orbans mit Putin rief Kritik der USA und der EU auf den Plan. Auch in Ungarn ist die Anlehnung an Russland ein sensibles Thema, war der ungarische Volksaufstand 1956 doch mit sowjetischen Panzern niedergewalzt worden. Washington wiederum verhängte inzwischen wegen Korruptionsverdachts ein US-Einreiseverbot für sechs hohe ungarische Beamte, darunter die Chefin der ungarischen Steuer- und Zollbehörde, Ildiko Vida.

Der Unmut in der Gesellschaft wächst, auch unter den Wählern von Fidesz-MPSZ. Nach jüngsten Umfragen hat die Orban-Partei im letzten Monat zwölf Prozent an Beliebtheit eingebüßt. Zwei Millionen Menschen, die bisher passiv waren, könnten mobilisiert werden. Dennoch könne sich Orban bequem zurücklehnen, behaupten Politologen. Immerhin käme die linksliberale Opposition trotz aller Bemühungen nicht aus dem Popularitätstief heraus, in das sie sich vor den Wahlen mit Zerstrittenheit und Konkurrenzdenken hineinmanövriert hatte. Zuletzt treffe die linke und liberale Opposition in der Zivilgesellschaft auf Ablehnung, während die rechtsradikale Jobbik-Partei an Zulauf gewinnt. Jobbik-Chef Gabor Vona gilt laut Meinungsumfragen bereits als drittbeliebtester Politiker in Ungarn.

Orban müsse endlich erkennen, dass es „auf diesem Wege nicht weitergehen kann“, erklärte der Politologe Gabor Török und nannte die zwei größten Fehler der politischen Orban-Karriere: Seine enge Bindung an Russland und die Verkündung des illiberalen Staates. Im Internetportal hvg.hu erinnerte Török daran, dass „die ungarische Rechte eine glaubwürdige politische Vertretung brauche, hier in Ungarn und auch in für das Land wichtigen weltpolitischen Zentren“. Das könnte verhindern, dass „die Rechte das Schicksal der total zerfallenen ungarischen Linken erleide, die in der heutigen Form regierungsunfähig ist“. Der Schlüssel läge allein in Orbans Hand.

Ungarn ist tiefer gespalten als je zuvor, ist isoliert in der Europäischen Union. Dennoch sitzt Orban fest im Sattel. Das könne sich ändern, erklärte der Politologe Peter Tölgyessy, ehemals Parlamentsabgeordneter von Fidesz-MPSZ, in der Studie „Gesellschaftsreport“. Käme die Macht Orbans ins Wanken, wäre das der Anstoß für eine Wende. „Reift der Anspruch der Menschen auf einen neuen Richtungswandel heran, könnten sich die Folgen mit überraschender Geschwindigkeit und Kraft zeigen.“