Schärfere Regulierung treibt Versicherer in Fusionen
London/Frankfurt (APA/Reuters) - In gut einem Jahr beginnt für die Versicherer in Europa eine neue Zeitrechnung, doch jedes siebente Unterne...
London/Frankfurt (APA/Reuters) - In gut einem Jahr beginnt für die Versicherer in Europa eine neue Zeitrechnung, doch jedes siebente Unternehmen ist auf die verschärfte Regulierung der Branche nach Erkenntnissen der Aufsichtsbehörde EIOPA noch nicht vorbereitet. „Solvency II“, wie die neuen Eigenkapitalregeln der Europäischen Union (EU) für die Versicherer heißen, könnte zu einer Fusions- und Konsolidierungswelle führen.
Das neue Regelwerk bindet die Kapitalausstattung der Versicherer zum ersten Mal an die Risiken in ihrem Geschäft. Es sind vor allem kleine Versicherer, deren unzureichende „Solvency II“-Kapitalpolster im Stresstest der EIOPA negativ aufgefallen sind: ihr Marktanteil liegt zusammen bei drei Prozent.
Doch nicht nur sie, auch andere Versicherer, die nicht zu den Branchenriesen gehören, könnten sich angesichts steigender Kosten und knappen Eigenkapitals in Zusammenschlüsse flüchten. „Solvency II hat schon zu einiger Aktivität bei Fusionen und Übernahmen geführt, und das dürfte sich im Vorfeld der Umsetzung der Richtlinie noch beschleunigen“, sagt Martin Membery, Partner der Anwaltskanzlei Sidley Austin. Das hätte mit Blick auf Solvency II vor allem den Vorteil, dass die Partner ihre Risiken in ihren Büchern besser streuen könnten - was nach den neuen Regeln ausdrücklich gefordert wird.
Der Stresstest sei ein Weckruf gewesen, sagen Experten: „Wenn man als Vorstand weiß, dass man mit Solvency II seine Probleme haben wird, wird man sich besser jetzt umschauen als später“, sagt Versicherungsexperte Antonello Aquino von der Ratingagentur Moody‘s. „Die Versicherer werden Steckenpferde oder Bereiche, in denen sie nicht groß genug sind, abtrennen“, sagt Paul Traynor von BNY Mellon. „Sie werden sowohl zukaufen als auch verkaufen.“
In Großbritannien ist die Konsolidierung längst im Gange: In zehn Jahren hat sich dort die Zahl der Lebensversicherer halbiert. Vor kurzem hat Aviva für umgerechnet gut sieben Milliarden Euro Friends Life geschluckt. Eine ähnliche Entwicklung steht nun laut Experten in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden bevor. Graham Kettleborough ist Chef von Chesnara, einem Spezialisten für den Aufkauf von Lebensversicherungs-Beständen ohne Neugeschäft. „Großbritannien (...) ist vermutlich mit dem Prozess schon halb durch, aber in Holland hat er noch gar nicht begonnen“, sagte Kettleborough, nachdem sein Unternehmen die Reste des pleitegegangenen niederländischen Finanzdienstleisters DSB geschluckt hatte.
Die Aufgabe des Neugeschäfts und der Verkauf der restlichen Bestände - mehr könnte auch einigen Versicherern in Deutschland nicht übrigbleiben. Denn Fusionen sind hierzulande nicht so einfach: Viele kleine Unternehmen sind als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG) organisiert. Um Eigenkapital könnten sie nur ihre Mitglieder - also die Versicherten - bitten, und diese haben zugleich das letzte Wort bei einem Zusammenschluss. Der Finanzinvestor Cinven hat sich darauf eingestellt: Er hat zusammen mit der Hannover Rück die Heidelberger Leben als Abwicklungsplattform für Lebensversicherungen eingerichtet: Eine Million Verträge liegen dort bereits - meist fondsgebundene Policen von der namensgebenden ehemaligen MLP-Tochter und der ehemaligen Skandia Deutschland.
Andere wie die Deutschland-Tochter der niederländischen Delta Lloyd wickeln das sterbende Geschäft lieber selbst ab. Der Schrumpfungsprozess ist schleichend vonstatten gegangen. Zählte die Finanzaufsicht BaFin vor einigen Jahren noch rund 120 Lebensversicherer, sind heute weniger als 90 aktiv. Schaffen einige der verbliebenen Unternehmen den Sprung zu Solvency II nicht, kann die BaFin ihren ganzen Werkzeugkasten auspacken: von erzwungenen Änderungen in der Anlagepolitik bis zu einer Übertragung auf die Auffanggesellschaft Protektor. Sie hat bisher nur die Mannheimer Leben auffangen müssen. Die Schweiz - für die Solvency II nicht gilt - musste das Modell aus Deutschland nun kopieren: Dort ist der kleine Lebensversicherer Zenith Pleite gegangen, die für dessen 13.000 Policen eingerichtete, von der Branche finanzierte Auffanggesellschaft heißt Palladio.