20 Jahre EU-Beitritt - Mythen um Gurke, Glühbirne und Kartellstrafen

Wien (APA) - Die EU ist eine riesige Tintenburg und beschäftigt eine Unzahl Beamter, die sich nichts als realitätsferne Gesetze einfallen la...

Wien (APA) - Die EU ist eine riesige Tintenburg und beschäftigt eine Unzahl Beamter, die sich nichts als realitätsferne Gesetze einfallen lassen und schikanöse Richtlinien in die Welt setzen. Mythos oder Wahrheit? Letztere liegt wie oft in der Mitte - einige Beispiele für gut gemeintes, Verpatztes, Gelungenes und Einträgliches aus Brüssel und Straßburg - das von Österreichs Politik mit beschlossen wird.

ÖLKÄNNCHEN: Zugegeben, manche Dinge wie das genormte Ölkännchen mit Einmalfüllung am Tisch der mediterranen Taverne nehmen sich tatsächlich völlig unnötig aus. Wie aber auch die Grenzwerte für Feinstaubbelastungen - die oft einziges Druckmittel gegenüber untätigen Gebietskörperschaften und Staaten sind - hat die Ölkännchen-Idee einen guten Kern, nämlich den Gesundheitsschutz der Bürger. Man erinnere sich nur den Skandal in Spanien in den 1980er Jahren durch gepanschtes Olivenöl mit etlichen Todesopfern.

STAUBSAUGER: Irritiert zeigte sich die Öffentlichkeit auch, als die EU für energiesparende Staubsauger abstimmte. Seit September 2014 dürfen Staubsauger nicht mehr als 1.600 Watt Leistung haben. Die EU rechnet durch diese Vorgabe ab 2020 mit Einsparungen von 19 Terawattstunden Strom pro Jahr. Das entspreche der Leistung von mehr als vier Atomkraftwerken. Auch andere Haushaltsgeräte unterliegen im Sinne der Energiesparpläne der EU diversen Regelungen.

BETENBURG BRÜSSEL: Stichwort aufgeblähter EU-Beamtenapparat: Die über 30.000 Beamten der EU-Kommission nehmen sich bescheiden aus, wenn man Vergleiche anstellt: München hat ebenso viele öffentliche Bedienstete. Wien kommt auf rund 60.000, die Stadt Graz (Magistrat und „Haus Graz“ mit der Daseinsvorsorge und den Öffis) kommt auf rund 10.000 Köpfe. Übrigens wird das Gros der Brüsseler Gelder, wie zum Beispiel die Auszahlung von Regionalförderungen, von den Mitgliedstaaten verwaltet, nicht von der EU-Kommission.

KRUMME GURKEN: Die Gurkenkrümmung wurde in Österreich bereits Ende der 1960er-Jahre - also lange vor dem EU-Beitritt - geregelt. Ziel: Eine bessere Vermarktung und Transportfähigkeit, da gerade Gurken besser als krumme in Kartons passen. Wegen der vielen Negativ-Schlagzeilen hat Brüssel im Juli 2009 die Normierung der Gurkenkrümmung ebenso wie jene von 25 weiteren Obst- und Gemüsesorten abgeschafft.

WASSER-AUSVERKAUF: Der Ausverkauf des Wassers ist ein Dauerbrenner, der alle Jahre wieder plätschert, inklusive der enteigneten Wasservorräte Österreichs, die über eine Pipeline in „trockene“ Mitgliedsländer transportiert werden sollen. Abgesehen davon, dass dies technisch wie finanziell kaum zu stemmen wäre - die entsprechende Richtlinie sieht lediglich vor, dass - wenn eine Kommune ihre Wasserversorgung privatisieren möchte - die Ausschreibung und Vergabe transparent in einem öffentlichen Verfahren zu erfolgen hat.

SCHILDLAUSJOGHURT: Zum Zeitpunkt der intensiven Auseinandersetzungen vor der Volksabstimmung 1994 waren Blutschokolade und Schildlaus-Joghurt als Ekel-Essen beliebte Argumente vor allem der FPÖ unter Jörg Haider. Einen wahren Kern hatte die Sache. Spanische Hersteller verwendeten als Farbstoff fürs Joghurt einige Zeit das von Schildläusen produzierte Karmin, ein seit Jahrtausenden in ganz Europa verwendeter Stoff. Dieser fand sich in Farben, Lippenstiften und Getränken. Verwendet wird mittlerweile der künstliche Farbstoff E120. Und die Richtlinien für Lebensmittel schreiben auch vor, was Genussmittel wie Schokolade enthalten dürfen - jedenfalls kein Hämoglobin und Ähnliches. Im Gegenteil setzen die EU-Regeln Qualitäts- und Hygienestandards für Lebensmittel. Wenn Erzeuger dann Pferd statt Rind in Sugo und Wurst mischen oder Gammelfleisch verkaufen, ist das deren krimineller Energie und Gier geschuldet, aber jedenfalls nicht der EU anzukreiden.

GLÜHBIRNEN: Einer der großen Aufreger seit Ende 2008, als die EU-Kommission auf der Basis der Ökodesign-Richtlinie 2005/32/EG stufenweise Herstellungs- und Vertriebsverbote von Lampen geringer Energieeffizienz in den Mitgliedsländern durchsetzt. Der Grund: Ein Großteil der Glühlampen wandelt den meisten verbrauchten Strom nicht in Licht, sondern in Wärme um. Bei Hunderten Millionen Glühbirnen ergibt das pro Jahr ein beträchtliches Einsparungspotenzial. Das fachgerechte Entsorgen der neuen quecksilberhaltigen Leuchtmittel ist bisher nicht umfassend gelöst, viele Glühbirnen landen trotz Pfand im Restmüll. Auch die „verspätete“ Leuchtkraft - eine Sparlampe braucht einige Zeit, bis sie voll strahlt - nervt Konsumenten.

EU-BUDGET und KARTELLSTRAFEN: 2014 verfügt die EU insgesamt über mehr als 130 Milliarden Euro an Budget - rund ein Prozent der Wirtschaftsleistung der 28 Staaten. Ein Gutteil der Mittel soll nach Volksmeinung in dunklen Kanälen versickern. Missbrauch und Korruption gibt es, keine Frage, aber auch die Betrugsbekämpfungsinstrumente wie OLAF schlafen nicht. Weit größer ist der Schaden, der Verbrauchern, der öffentlichen Hand und Unternehmen durch Kartellbildungen und Preisabsprachen entsteht. Schienenkartell, Zinsabsprachen von Banken, Aufzugskartell, Kaffeekartell ... kaum eine Branche, die in den vergangenen Jahren nicht mit Besuch der Wettbewerbshüter der EU-Kommission rechnen musste.

Alleine im ersten Halbjahr 2014 sind bereits Kartellstrafen von über einer Milliarde Euro verhängt worden: Gegen elf Hersteller von Hochspannungskabeln eine Kartellstrafe über knapp 302 Mio. Euro, fast eine Milliarde Euro gegen mehrere Kugellager-Hersteller wegen illegaler Preisabsprachen. Die beiden führenden europäischen Strombörsen müssen EU-Kartellstrafen von zusammen knapp 6 Millionen Euro zahlen. Wegen verbotener Preisabsprachen muss der deutsche Kaffeeröster Melitta eine Kartellstrafe von 55 Mio. Euro „brennen“. Die verbotenen Preisabsprachen der Bierbrauereien in Deutschland haben die Verbraucher nach Berechnungen der Verbraucherzentrale Hamburg pro Jahr über 400 Mio. Euro gekostet. Am deutschen Technologiekonzern Siemens bleibt eine Strafe von fast 400 Mio. Euro wegen Verstößen gegen das EU-Kartellrecht hängen. Die Mittel fließen ins EU-Budget - die Geldstrafen für unlauteren Wettbewerb von Konzernen verringern somit den jeweiligen Budgetbeitrag der einzelnen Mitgliedsstaaten.

REISEN OHNE PASS: Nach dem EU-Beitritt braucht man bei Reisen in ganz Europa keinen Pass mehr - jubelten Politiker und Medien, eine leicht verkürzt dargestellte Sachlage. Stimmt in gewisser Weise - aber ohne Pass läuft aus Sicherheitsgründen bei Flugreisen in der EU gar nichts, alleine schon um die Identität des Ticketinhabers zu überprüfen. Passiert man eine Grenze am Straßenwege, gibt es keine Grenz- oder Passkontrolle - das ist der Vorteil. Diese kann aber stichprobenartig oder bei Großereignissen wie etwa einer Fußball-EM kurzfristig wieder eingeführt werden - Stichwort Hooligans. Da man sich aber immer ausweisen können muss, z. B. beim Hotel-Check-in oder gegenüber der Polizei, sollte der Pass dabei sein. Vergangenheit sind hingegen die Staus in der Reisezeit an den Grenzen - vor Stau bei Unfällen oder vor Mautstellen ist man aber nach wie vor nicht gefeit.