Kulturhauptstädte 2015 - Intendant Vasseur: „Kein Mensch kennt Mons!“

Mons (APA) - Der Belgier Yves Vasseur ist Intendant des europäischen Kulturhauptstadtjahres 2015 im wallonischen Mons. Im APA-Interview spri...

Mons (APA) - Der Belgier Yves Vasseur ist Intendant des europäischen Kulturhauptstadtjahres 2015 im wallonischen Mons. Im APA-Interview spricht der Kulturmanager über seine Idee einer Renaissance für Mons - einer Stadt, die laut seiner Aussage derzeit niemand kennt.

APA: Mons ist mit unter 100.000 Einwohnern eine der kleinsten Kulturhauptstädte Europas bisher. Ist das ein Nachteil oder eher ein Vorteil in Ihren Augen?

Yves Vasseur: Naja, wenn man den Großraum anschaut, sind es ja gar nicht so wenig. Und zugleich gehört den europäischen Städte der mittleren Größe die Zukunft - sie sind ruhiger, näher am Grünen und man ist schnell überall.

APA: Wie viele Besucher erwarten Sie im Jahreslauf bei Mons 2015?

Vasseur: Ich bin natürlich kein Hellseher. In Summe dürften es aber plus minus zwei Millionen werden. Der Großraum von Mons umfasst rund 800.000 Einwohner. Wenn wir davon die Babys und die Alten abziehen, können wir mit Mons 2015 rund 500.000 Menschen erreichen. Und wenn wir denen nicht je zwei Karten verkaufen würden, wären wir nicht gut! Und die zweite Million sollten dann Besucher von auswärts sein. Deshalb starten wir auch mit der großen Van-Gogh-Ausstellung, für die allein wir 250.000 Gäste erwarten. Kein Mensch kennt Mons - seien wir ehrlich! Aber jeder kennt Van Gogh. Und wenn die Leute kommen, um sich die Ausstellung anzusehen, müssen wir sie überzeugen, auch Mons zu erkunden.

Die Leute werden keinen zweiwöchigen Urlaub in Mons machen - aber vielleicht einen Tagesausflug. Und vielleicht kommen auch Touristengruppen aus Japan und China, wenn die drei Tage in Belgien sind. Für jemanden aus Schanghai ist die Reise von Brüssel nach Mons wie der morgendliche Fahrt mit der U-Bahn...

APA: Ich glaube nicht, dass japanische Reisegruppen drei Tage am Stück in einem europäischen Land bleiben...

Vasseur: Da haben Sie Recht. Aber das ist ja auch nicht das Hauptklientel, sondern die Menschen aus der Region. Für die ist das Projekt gemacht - und teils auch von ihnen. Wir wollen primär Leute aus einem Umkreis von 250 Kilometern anziehen - was praktisch alle Metropolen Nordwesteuropas einschließt, von Paris über London bis Köln. Viele Menschen aus Nordeuropa fahren im Urlaub auf dem Weg Richtung Süden durch Mons - aber sie halten hier nie an! Ich werde mich jetzt nicht auf die Gleise werfen, um den Zug anzuhalten. Aber die Information, dass sie auf der Reise einen kurzen Zwischenstopp machen können, wollen wir ihnen schon zukommen lassen. Keiner kennt Mons - aber jeder kann Mons erkunden.

APA: Für Sie ist Ihre Stadt so etwas wie eine schlafende Schönheit?

Vasseur: Absolut. Es gab hier lange Zeit zwar schöne Gebäude, aber praktisch kein Kulturleben. Da hat sich in den vergangenen Jahren vieles gewandelt. Und wir wollen mit unserem Projekt auch die Abwanderung aus der Region stoppen. Können wir die Barbarei der Wirtschaftskrise hinter uns lassen und daraus neu hervorgehen? Es geht darum, Mentalitäten zu ändern, um jungen Menschen eine Zukunft zu bieten. Es gibt hier eine gute Universität, aber es ist schwierig, einen guten Job zu finden. Das ändert sich allerdings langsam. Es gibt viele kleine Start-ups, die sich entwickeln.

APA: Eines der Hauptthemen des Programms neben der Renaissance der Region scheint mir die Beteiligung der Bürger zu sein, die Wiedergewinnung des öffentlichen Raumes...

Vasseur: Die Attraktivität der Stadt muss gleich auf den ersten Blick sichtbar sein und Besucher gleichsam natürlich anziehen. Auch sind diese Aktivitäten gratis, also sehr niederschwellig. Und wenn man dann ein Plakat für eine Ausstellung entdeckt, überlegen sich die einen oder anderen vielleicht, eine Karte zu kaufen.

APA: Apropos Geld - Sie haben ein Budget von knapp 70,5 Millionen Euro. Ist das genug?

Vasseur: Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich bei meiner Bewerbung gesagt: Unter 40 Millionen Euro Budget mache ich den Job nicht. Insofern bin ich jetzt sehr glücklich. 70 Millionen Euro sind ziemlich komfortabel.

APA: Der von Santiago Calatrava geplante Bahnhof wird allerdings nicht fertig für Mons 2015...

Vasseur: Leider, aber man muss klar sagen, dass man nicht im Dreck ankommt. Wir werden da eine spezielle Atmosphäre schaffen, und vielleicht machen wir Führungen durch dieses Work in Progress. Außerdem ist es möglicherweise ja ganz gut, dass hier auch nach 2015 Dinge passieren.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)