Wendejahr 1989 - Experte: „Rumänische Revolution setzt sich fort“
Bukarest (APA) - In der zweiten Dezemberhälfte begeht Rumänien den 25. Jahrestag der Revolution von 1989. Das Gedenken daran ist umso symbol...
Bukarest (APA) - In der zweiten Dezemberhälfte begeht Rumänien den 25. Jahrestag der Revolution von 1989. Das Gedenken daran ist umso symbolträchtiger, als er mit dem Amtsantritt des im November gewählten Staatspräsidenten Klaus Johannis (Iohannis) zusammenfällt. Im APA-Interview erklärt der rumänische Kommunismus-Forscher, Vladimir Tismaneanu, welche Parallelen es zwischen diesen beiden Ereignissen gibt.
Seiner Meinung nach hängen die Hoffnungen, die nun in Johannis gesetzt werden, mit den Forderungen zusammen, die die Revolutionäre bald nach dem Volksaufstand von 1989 an die Landesführer stellten. Die sogenannte „Revolution“ sei noch nicht beendet. „Es ist eine sich fortsetzende friedliche, legale Revolution, die sich gegen rachsüchtige Radikalismen wendet.“
APA: Wie haben Sie Rumänien vor 1989 in Erinnerung?
Tismaneanu: Ich habe Rumänien im September 1981 verlassen. Die Atmosphäre war erstickend, die Misere mit jedem Tag größer, die Ausdrucksfreiheit abgewürgt. Aber es gab die informellen Freundeskreise, in denen wir frei sprechen konnten, in denen wir Bücher, Filme, Musik diskutierten. Langsam machte sich die Empfindung breit, dass die Dinge nicht mehr so weitergehen konnten, die Hoffnung auf einen Umbruch war aber sehr blass.
APA: Wie entstand aus diesem Würgegriff heraus plötzlich die Entfesselung?
Tismaneanu: Ceausescus allgegenwärtiger National-Stalinismus hat die gesamte menschliche Existenz überrannt, er war invasiver als der ideologische Angriff in anderen osteuropäischen Staaten. Hinter dem Vorhang seiner außenpolitischen Autonomie-Anwandlungen konnte Ceausescu es sich leisten, Protestbewegungen mit maximaler Brutalität und Niedertracht zu liquidieren. Auch ist der dynastische Charakter von Ceausescus Sozialismus, jener widerliche Personenkult, zu bedenken.
In den letzten Jahren der Diktatur verschlechterten sich die Lebensbedingungen beträchtlich. Das Hungern und Frieren waren alltägliche Realität, standen in absolutem Widerspruch zur Megalomanie offizieller Auftritte. Die Errichtung des „Volkshauses“ verwandelte Bukarest in ein Paranopolis.
Der Vulkan war am Überkochen, der Ausbruch unvermeidbar. Besessen von seiner eingebildeten schicksalhaften Rolle, lebte der Diktator in einem eigenen Universum, in dem er sich unsterblich und unkündigbar wähnte. Der Partei- und Sicherheitsapparat konnte dieses institutionalisierte Delirium nicht mehr tragen. Aber die Revolution ist spontan ausgebrochen. Die Diktatur antwortete mit Panzern und Kugeln. Das Ceausescu-Regime fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
APA: Haben die kommunistische Ideologie und der kommunistische Staatsapparat in Rumänien besser überlebt als in anderen postkommunistischen Ländern?
Tismaneanu: Vor allem in den ersten Monaten nach der Dezemberrevolution hat sich die rumänische Nomenklatur geschickt die Maske eines schrillen, seichten Antikommunismus aufgesetzt. Die Politiker der Stunde posierten als antikommunistische Revolutionäre, während sie die neokommunistische Herrschaft vorbereiteten, eine eigene Variante der Perestroika. Der natürliche Wandel wurde verhindert.
Die sogenannte „Front der Nationalen Rettung“ unter dem späteren Staatspräsidenten Ion Iliescu war eine andere Hypostase der Kommunistischen Partei. In den darauf folgenden Jahren wurde die Entkommunisierung verschleppt und als „Hexenjagd“ angeschwärzt. Die kommunistische Ideologie konvertierte zu einem nationalistisch-chauvinistischen Diskurs.
Es entstanden neue linkslastige Radikalismen, die einen simplistischen Antikapitalismus und eine egalitär-kollektivistische Rhetorik bemühten. So erfolgte in den Wochen nach der Exekution des Diktatorenpaares die große Usurpation. Die Traumata der Vergangenheit wurden verleugnet, getarnt, versteckt. Gerade aus diesem Grund spuken sie weiterhin im kollektiven Imaginären herum.
APA: Auf der Hoffnungswelle nach den Präsidentschaftswahlen im November war eines der geflügelten Wörter „Wir haben unser Land zurückgeholt“. Was ist damit gemeint?
Tismaneanu: Es bestand die Gefahr, dass das Land endgültig einer kleptokratischen Oligarchie unter dem krankhaften Lügner und Plagiator Victor Ponta [dem amtierenden sozialdemokratischen Premier, Anm.] unterlag. Es erfolgte eine beispiellose Mobilisierung, eine Resurrektion der Zivilgesellschaft. Die Verachtung der Sozialdemokratischen Partei (PSD) für die Auslandsrumänen [von denen Tausende wegen der schlechten Organisation nicht wählen konnten], war ausschlaggebend. Klaus Johannis hat die Botschaft der Zivilgesellschaft verstanden und sie in die eigene Kampagne aufgenommen.
APA: Wie lange wird die Revolution in Rumänien noch anhalten müssen?
Tismaneanu: Es ist eine sich fortsetzende friedliche, legale Revolution, die sich gegen rachsüchtige Radikalismen wendet. Ihr Zweck ist, jene Errungenschaften zu festigen, die pluralistische, euro-atlantische Optionen garantieren. Sie wird weitergehen, bis das mafiöse Gerüst, das Ponta und seine Partei, eine reaktionär-profitorientierte Interessensgemeinschaft, repräsentieren, in sich eingestürzt sein wird. Solange sich Ponta an der Regierungsspitze befinden wird, bleiben die Anliegen dieser Revolution von maximaler Dringlichkeit.
APA: Ist der 25. Jahrestag der Revolution wichtiger, symbolträchtiger als andere?
Tismaneanu: Sicherlich. Wir haben die Verurteilung der kommunistischen Diktatur als illegitim und kriminell hinter uns; wir sind NATO- und EU-Mitglied; wir haben Chancen, die wir beispielsweise 2004 nicht hatten. Es ist aber zivilgesellschaftliche Partizipation gefragt. Es ist die Überwindung des Proteststadiums (auch wenn dieser zweifellos nötig war) erforderlich und eine Entwicklung hin zum Aufbau neuer Parteien, die anders agieren als jene, die im vergangenen Vierteljahrhundert dominierten.
APA: Welches war die wichtigste Veränderung nach 1989?
Die Herausbildung einer Mittelklasse, einer Generation von jungen Managern, die die Notwendigkeit einer institutionellen Westorientierung und einer offenen Bekenntnis zur traumatischen Vergangenheit verstanden hat. Die Zeit der übertünchten Nomenklatur ist vorbei, die Zeit der liberalen Modernität ist gekommen.
APA: Welches sind die notwendigen Veränderungen, die noch auf sich warten lassen?
Tismaneanu: Es ist eine vibrierende, enthemmte öffentliche Sphäre notwendig, eine saubere Presse, die sich von der Schirmherrschaft käuflicher Oligarchen emanzipiert hat, TV-Anstalten, die mehr als nur unterwürfige Instrumente von mehr oder weniger sichtbaren Finanzierern sind. Es braucht auch intelligente und effiziente Investitionen in Bildung und Gesundheitswesen.
APA: Wie wirkte sich der Bericht zur Verurteilung des Kommunismus, den sie koordiniert haben, auf die Erinnerung an den Kommunismus in Rumänien aus?
Tismaneanu: Er bewirkte einen symbolischen, entscheidenden Bruch mit der kommunistischen Vergangenheit und entlegitimierte den nostalgisch-totalitären Diskurs, er bot ein intellektuelles und moralisches Bezugssystem für die unverzichtbare Trennung von der Vergangenheit. Daher auch die abschätzigen, hasserfüllten Reaktionen dagegen. Eine der Folgen ist die Einführung des Wahlfachs „Geschichte des Kommunismus“ an rumänischen Schulen
APA: Während die Nazi-Ideologie definitiv diskreditiert und verurteilt ist, scheint der Kommunismus in gewissen Intellektuellenkreisen noch nicht gänzlich kompromittiert zu sein. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?
Tismaneanu: Der Kommunismus ist eine universalistische Doktrin, er verspricht global die Emanzipation aller Kategorien von Schicksalsgebeutelten. Der Faschismus wurde militärisch besiegt, nicht so der Kommunismus. Es gibt eine beständige Attraktion hin zum kommunistischen Traum, was für die rassistische Utopie des Nazismus nicht gilt. Die kommunistischen Propheten mobilisieren das soziale Ressentiment und versprechen den Himmel auf Erden. Wichtig ist, immer wieder auf die Erinnerung zurückzukommen, den jüngeren Generationen vor Augen zu führen, was die kommunistische Chimäre eigentlich konkret bedeutete.
Wir müssen den Kommunismus ent-normalisieren (um einen Begriff aus der deutschen Forschung zu Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu entlehnen). Der Kommunismus war kein normales Regime, er hat die Seelen der Menschen entwürdigt und verstümmelt, hat aus der Lüge ein Lebensprinzip gemacht, hat fortwährend und systematisch der Wahrheit ins Gesicht geschlagen. Das Wort „Gulag“ muss allbekannt sein, wie das Wort „Holocaust“. Es geht um die zwei absoluten Gräuel in einem Jahrhundert der Gräuel.
(S E R V I C E - Biografie: Der 1951 in Rumänien geborene Vladimir Tismaneanu, dessen Eltern zeitweilig zur kommunistischen Nomenklatur gehörten, entschied sich in den frühen 1980er-Jahren für die Emigration. Er lehrt seither an US-amerikanischen Universitäten und publizierte zahlreiche Kommunismus-Studien.
2006 wurde er vom rumänischen Staatschef Traian Basescu mit der Herausgabe eines als historisch geltenden Berichts beauftragt, infolge dessen das kommunistische Regime offiziell als kriminell verurteilt wurde.
Ab 2010 leitete er das rumänische Institut für die Untersuchung der kommunistischen Verbrechen, bis er 2012 vom amtierenden sozialdemokratischen Premier Victor Ponta abgesetzt wurde. Tismaneanus neueste Veröffentlichung „Erinnerung, Geschichte und Justiz: Die Bewältigung der traumatischen Vergangenheit in demokratischen Gesellschaften“ erscheint im Mai 2015.)
(Das Gespräch führte Laura Balomiri/APA)