Franziskanerkustos: 2014 „Wendepunkt“ für Christen in Nahost
Jerusalem/Ramallah (APA) - Das Jahr 2014 ist für die Christen im Nahen Osten ein Wendepunkt. Islamistischer Terror, Frustration über das Aus...
Jerusalem/Ramallah (APA) - Das Jahr 2014 ist für die Christen im Nahen Osten ein Wendepunkt. Islamistischer Terror, Frustration über das Ausbleiben des Friedens und die schwierige wirtschaftliche Lage habe viele Christen veranlasst, das Heilige Land zu verlassen, erklärte Franziskaner-Kustos Pierbattista Pizzaballa in einem Interview mit der päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“. Das berichtete Kathpress am Donnerstag.
„Was derzeit durch ISIS geschieht, verstärkt das Gefühl, dass Christen im Nahen Osten keine Zukunft haben, dass man sie hier nicht will“, so der Ordensmann. Wirtschaftlich habe die israelische Besatzung zur „schwierigen Lage“ in palästinensischen Gebieten beigetragen und auch die Beziehung zur islamischen Gemeinschaft sei nun weniger gut als früher. Der Tourismus sei infolge des Gaza-Krieges um 60 Prozent eingebrochen. „All das zusammen mit dem, was um uns herum passiert, erzeugt ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit“, berichtete Pizzaballa. Er selbst glaube jedoch weiterhin an eine christliche Zukunft im Nahen Osten.
Alleine 19 Familien hätten seit Oktober Bethlehem in Richtung Amerika und Europa verlassen, schilderte der Franziskaner-Kustos. Zudem seien Hunderttausende Christen in Syrien auf der Flucht. Auf Terror und christlichen Exodus folge ein Zusammenbrechen der kirchlichen Strukturen in vielen Gebieten. Pizzaballa: „Wir müssen nicht nur die christliche Gemeinschaft wieder aufbauen, sondern auch das Verhältnis zur muslimischen Minderheitsgesellschaft“.
Bei der Vermittlung zwischen Palästinensern und Juden würden Christen keine zentrale Rolle spielen. „Wir Christen hier im Heiligen Land sind irrelevant. Wir sind zu wenige“, so der Franziskaner-Kustos. Bedauerlich sei auch die konfessionelle Spaltung. „Wir können uns nicht einmal darauf einigen, wer in der Grabeskirche was reinigen darf“, so Pizzaballa. Zunächst müsse das Verhältnis der Christen im Heiligen Land zueinander geregelt werden, erst dann könne man zum Frieden zwischen Juden und Palästinensern beitragen.
Sorgen äußerte Pizzaballa auch über die zunehmende religiöse Dimension des Konflikts zwischen Juden und Palästinensern. Politiker versuchten zwar, „die Dinge zu beruhigen. Ich weiß aber nicht, ob es dafür nicht schon zu spät ist“. Dass Politiker wie Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas den Konflikt in einen religiösen verwandeln wollten, glaube er nicht. Der religiöse Aspekt werde zwar immer eine gewisse Rolle spielen, entscheidend sei aber, „ihn so klein als möglich zu halten“.
Die zunehmende religiöse Aufladung des Konflikts habe sich jüngst in den Unruhen auf dem islamisch verwalteten Jerusalemer Tempelberg gezeigt. Juden klagen ihr Recht ein, dort zu beten, obwohl ihnen dieses auch durch den israelischen Staat per Gesetz verboten ist. „Es ist Juden ja nach traditioneller jüdischer Auffassung verboten, den Berg zu betreten, wo der jüdische Tempel stand“, erklärt Pizzaballa.
Bisher hätte Israel den Status quo auf dem Tempelberg respektiert, „wenn man das ändert, wir das den Konflikt in eine religiöse Richtung verändern, die irreversibel sein wird“. Sichtbar werde diese Tendenz auch im Rückgang der Bedeutung säkularer Bewegungen in den letzten zwanzig Jahren auf beiden Seiten.
Für die nahe Zukunft sieht der Franziskaner-Kustos keine Lösung des Konflikts. „Es wird lange Zeit brauchen und leichte Lösungen gibt es keine.“ Im Heiligen Land zeige sich schließlich das Ergebnis von jahrelangem Hass und Frustration. Zwischen beiden Völkern fehle es an gegenseitigem Vertrauen, klar sei aber: „Man muss den Palästinensern etwas Konkretes geben und nicht nur Versprechungen. Auch die Israelis müssen das Gefühl haben, dass sie auf der anderen Seite einen Ansprechpartner haben.“