Ankara führt Vernichtungsfeldzug gegen Fethullah Gülen

Istanbul (APA) - In der Türkei gärt es nach der Verhaftungswelle von Journalisten im Lager der Regierungsgegner. Ein Dutzend Journalisten is...

Istanbul (APA) - In der Türkei gärt es nach der Verhaftungswelle von Journalisten im Lager der Regierungsgegner. Ein Dutzend Journalisten ist weiter in Haft. Ihnen droht eine Verurteilung wegen angeblichem Terrorismus. Der in der USA lebende islamische Prediger Fethullah Gülen wird von Ankara als Terrorpate gebrandmarkt. Die Pressefreiheit liegt in Scherben, der AKP-Korruptionsskandal untergräbt den Rechtsstaat.

Dem Chefredakteur der Zeitung „Zaman“ und elf weiteren Verhafteten vom vergangenen Sonntag wird die Gründung einer bewaffneten Terrororganisation vorgeworfen, wie türkische Medien berichteten. Unter ihnen ist auch der Chef des Kanals Samanyolu TV. Der Sender hat sich unter anderem durch die Fernsehserie „Tek Türkiye“ („eine einzige Türkei“) hervorgetan, die der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Dorn im Auge ist. Zusätzlich lautet die Anklage auf organisierte Fälschung und Verleumdung.

Der kritische Journalist Ahmet Sik kritisierte die Vorgehensweise gegen Medienunternehmen der Gülen-Bewegung (Cemaat) und die Verhaftungswelle als „Faschismus“. Der im Mai mit dem UNESCO-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnete Sik saß wegen eines nie veröffentlichten Buches über die damals noch mit Erdogan verbündete Gülen-Bewegung im Jahr 2011 ein Jahr in Untersuchungshaft. Er wurde beschuldigt, das Buch im Auftrag des der Regierungspartei AKP feindlich gesonnenen Netzwerkes „Ergenekon“ geschrieben zu haben. Das Manuskript „die Armee des Imam“ wurde beschlagnahmt, deren Verbreitung und Weitergabe verboten.

Auch der vielfach ausgezeichnete investigative Journalist Ismail Saymaz stellte sich am Donnerstag auf die Seite des festgenommenen „Zaman“-Chefredakteurs. „Ekrem Dumanli kann des einseitigen oder mangelhaften Journalismus beschuldigt werden. Aber ihn aufgrunddessen zum Terroristen zu erklären erzeugt ein Ergenekon Dejavu“, schrieb Saymaz via Twitter.

Durch umstrittene Beweisführungen in den politischen Schauprozessen „Ergenekon“ und „Balyoz“ - es ging dabei um angebliche Putschpläne - wanderten hunderte Militärs und unliebsame Gegner der islamisch-konservativen AKP-Regierung teils jahrelang ohne rechtskräftige Verurteilung hinter Gitter, darunter auch zahlreiche Journalisten. So gut wie alle wurden Anfang des Jahres 2014 aus der Haft entlassen, die Prozesse werden neu aufgerollt.

Laut dem geheimnisvollen Wistleblower Fuat Avni steht der Türkei in Kürze eine weitere Polizeioperation im Kampf gegen die „Putschisten“ ins Haus. Sie soll am 25. Dezember anrollen, twitterte Avni, der nach eigenen Angaben direkten Zugang zur Staatsspitze hat. Staatspräsident Erdogans ehemaliger Weggefährte zur Macht, Fethullah Gülen, solle zum internationalen Terrorpaten erklärt werden.

Dem im Exil im US-Bundesstaat Pennsylvania lebenden Prediger wird vorgeworfen, Justiz und Polizei unterwandert und einen Parallelstaat geschaffen zu haben. 2013 kam es endgültig zum Bruch zwischen den ehemaligen Verbündeten Erdogan und Gülen. Experten und Kenner des Gülen-Cemaats haben prophezeit, dass der Krieg zwischen den Lagern bis zur „Vernichtung“ getrieben werde.

Künftig werde der religiöse Führer in der USA als Kopf einer Terrororganisation gehandelt, so der Insider Avni. Ein internationaler Haftbefehl soll ebenfalls in Vorbereitung sein. Für politische Beobachter ist dies ein Indiz, dass das Gülen-Cemaat den Kürzeren in der Auseinandersetzung gezogen haben dürfte.

Am Mittwoch jährte sich die monatelang im Geheimen geplante Operation von Staatsanwaltschaft und Polizei, die am 17. Dezember 2013 zum Auffliegen eines der größten Korruptionsskandale in der Geschichte der türkischen Republik führte. In deren Zentrum standen vier AKP-Minister, AKP-nahe Wirtschaftsbosse sowie Erdogan und sein Familienclan. Erdogan beschuldigt die Gülen-Bewegung und mit ihr verbündete Justizbeamte, hinter der Aktion zu stehen.

Am Vorabend des Jahrestages, am 16. Dezember 2014, wies die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft die Berufungsbeschwerde gegen die vom Istanbuler Richter Ekrem Aydiner getroffene Entscheidung, die Korruptionsvorwürfe aufgrund mangender Beweise fallen zulassen ab. Die 53 Verdächtige sind bereits seit Monaten wieder auf freiem Fuß.

Die säkular-kemalistische Oppositionspartei CHP hatte in der Woche vom 17. bis 25. Dezember mit zahlreichen Plakataktionen und Demonstrationen zum „Kampf gegen Bestechung und Korruption“ aufgerufen. Daraufhin wurden in drei großen Städten, in Izmir, Diyarbakir und Maras alle Kundgebungen, Proteste und Pressekonferenzen verboten.

Der Chef der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas erklärte, AKP und Gülen hätten elf Jahre lang gemeinsame Sache gemacht. Er warnte davor, dass die Türkei unter der AKP-Herrschaft ins Chaos stürzen und in Stücke brechen könnte. „Glauben sie mir, wenn die AKP-Regierung dieses Land weitere vier Jahre führt, könnte das, was wir heute Türkei nennen, nicht mehr existieren“, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Dogan.

Die Absolution für die Korruptionsvorwürfe hat sich die Regierung durch zwei Wahlgänge im Jahr 2014 geholt, ein dritter ist mit den Parlamentswahlen im nächsten Jahr ausständig. Das Ergebnis könnte genauso ernüchternd ausfallen, für die Türkei ebenso wie für ihre Zukunft als Rechtsstaat.