Burundi - vergessenes Land im Aufbruch

Bujumbura (APA/dpa) - Seit fast zehn Jahren ist in Burundi Frieden eingekehrt. Aber das afrikanische Land ist am Boden - und steht noch imme...

Bujumbura (APA/dpa) - Seit fast zehn Jahren ist in Burundi Frieden eingekehrt. Aber das afrikanische Land ist am Boden - und steht noch immer im Schatten des bekannteren Nachbarn Ruanda. 2015 gibt es Wahlen und die Bevölkerung hofft auf einen Wandel.

Burundi ist eines jener kleinen Länder in Afrika, deren Namen den meisten Europäern kaum ein Begriff ist - von der geografischen Lage oder innenpolitischen Situation ganz zu schweigen. Doch der ostafrikanische Binnenstaat hat eine bewegte Geschichte, die in ihrem Grauen dem Genozid im Nachbarland Ruanda nicht viel nachsteht - nur dass die Weltöffentlichkeit weniger Notiz davon genommen hat. Dem heutigen Besucher bietet sich ein tristes Bild.

Der Bauboom vieler anderer afrikanischer Länder scheint selbst in der Hauptstadt Bujumbura wie ferne Zukunftsmusik. Die Straßen sind staubig und von Löchern übersät, der Großteil der rund zehn Millionen Bürger transportiert zentnerschwere Lasten noch auf Fahrrädern aus grauer Vorzeit. Das höchste Gebäude des Landes ist ein Hotel mit gerade einmal sieben Stockwerken. Das Leben wird vom Tanganjika-See bestimmt, dem zweitgrößten See Afrikas, aus dem Fischer in Holzbooten die allseits beliebten Mukeke- und Sangala-Fische angeln.

Ein Blick zurück: Die Wurzeln allen Übels lagen in Ruanda wie auch in Burundi in der von den belgischen Kolonialherren auferlegten ethnischen Differenzierung zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit. Während sich der Hass in Ruanda von April bis Juni 1994 in einem Blutrausch der Hutus mit über 800.000 toten Tutsis und moderaten Hutus entlud, kam es in Burundi schon seit den 1970er-Jahren immer wieder zu furchtbaren Massakern - und zwar auf beiden Seiten.

Im Bürgerkrieg, der offiziell von 1993 bis 2005 dauerte, starben Schätzungen zufolge mindestens 300.000 Menschen. Hunderttausende flohen etwa in den Kongo oder nach Tansania - ein international vergessener Konflikt, der von den Geschehnissen in Ruanda stets überschattet wurde.

Die Aufarbeitung der Geschichte wurde in beiden Ländern unterschiedlich gehandhabt: Während Ruanda beschloss, ethnische Unterschiede gänzlich zu unterbinden und die Namen Hutu und Tutsi aus dem Wortschatz zu streichen, ging Burundi einen anderen Weg.

Die Verfassung sieht vor, dass alle öffentlichen Ämter zu 60 Prozent von der Hutu-Mehrheit und zu 40 Prozent von der Tutsi-Minderheit besetzt werden müssen. Das gilt etwa auch für die Abgeordnetenkammer. Zudem gibt es jeweils zwei Vize-Präsidenten, einen Hutu und einen Tutsi. Diese Regelung stellt bisher alle Seiten zufrieden, da die Hutus, die 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen, traditionell das Sagen haben, die nur 15 Prozent starke Tutsi-Minderheit aber allerorts überdurchschnittlich stark vertreten ist.

„Das hat bisher gut funktioniert und wir ernten noch heute die Früchte dieser Entscheidung, aber irgendwann muss die Quotenregelung geändert werden“, meint Mugwengezo. „Schließlich sollte die Kompetenz der Politiker wichtiger sein als ihre Ethnie.“

Dem stimmt auch Simeon Barumwete, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Burundi zu: „Niemand sollte wegen der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe von politischen Ämtern ausgeschlossen sein. Wir müssen uns irgendwann - vielleicht in 15 bis 20 Jahren - als Burundier identifizieren und nicht mehr als Hutus oder Tutsis.“

Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zu schwer wiegen die Probleme, die auf dem noch immer zu 90 Prozent von der Landwirtschaft abhängigen Staat lasten. Zwar ist die Schulbildung seit 2005 für alle Kinder kostenlos, jedoch finden sich mancherorts bis zu 200 Schüler in einer einzigen Klasse, in der es weder genügend Pulte noch Bücher oder sonstige Schulmaterialien gibt. Auf dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen rangierte Burundi 2014 auf Platz 180 von 187.

Der einzige Rohstoff, der bisher unter der feuchten Erde des tropischen Staates entdeckt wurde, ist Nickel - und für dessen Abbau hat sich Professor Barumwete zufolge bereits eine südafrikanische Firma die Rechte gesichert. Zudem ist Korruption überall verbreitet. Wie die mächtigen Arme eines Kraken scheint diese sich schon jetzt über die Vorbereitungen der im Mai und Juni geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu legen.

„Die Betrugsmaschinerie hat sich bereits in Gang gesetzt“, sagt Chauvineau Mugwengezo, der Sprecher der größten Oppositionskoalition ADC-Ikibiri. „Und dieses Mal sind wir bereit zu kämpfen.“ Schwere Vorwürfe richten sich in erster Linie gegen die Mitte Dezember abgeschlossene Wählerregistrierung. Nicht nur Oppositionelle, sondern auch die Wahlbeobachter der Koalition der Zivilgesellschaft für die Überwachung der Wahlen (Cosome) sprechen von schweren Unregelmäßigkeiten.

„Die Personalausweise, die für die Registrierung nötig sind, wurden überall verteilt, unter Bäumen und selbst an Minderjährige in Schulen - und oft mehrfach an dieselbe Person“, warnt Justine Nkurunziza, die Vorsitzende der Organisation. „Wir haben an die Wahlkommission geschrieben und gefordert, das Verfahren abzubrechen und zu wiederholen - aber das wurde abgelehnt“, betont sie. „Kein Wunder“, meint Mugwengezo. „Schließlich sind die Mitglieder der Kommission alle Regierungsgetreue.“

Kritikern zufolge wurden an die Landbevölkerung kleine Geschenke wie ein paar Kilo Reis oder Laibe Brot verteilt, um die Wählergunst zu gewinnen. „Aber ist ein Kilo Essbares genug, um die nächsten fünf Jahre unter dieser Regierung zu leiden?“, fragt Mugwengezo ironisch.

Für noch größere Spannungen sorgt der Plan von Präsident Pierre Nkurunziza, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Der 50-Jährige ist seit 2005 Staatschef und erfreut sich Beobachtern zufolge wegen seiner vermeintlichen Volksnähe in vielen Landesteilen großer Beliebtheit.

Jedoch sieht die Verfassung Burundis maximal zwei Amtszeiten vor. Das war im Jahr 2000 im Friedensvertrag von Arusha festgelegt worden, mit dem der blutige Bürgerkrieg im Beisein des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und des südafrikanischen Freiheitskämpfers Nelson Mandela endlich beigelegt wurde.

Nkurunziza argumentiert, dass er bei seiner ersten Amtszeit vom Parlament nominiert worden sei und nicht offiziell vom Volk gewählt wurde. „Das ist aber egal, denn das Volk hatte ja das Parlament gewählt“, sagt Barumwete. „Laut Verfassung darf er nicht mehr antreten - sollte er es doch tun, dann würde es sich um eine gesetzwidrige Wahl handeln.“

Der Experte warnt, dass die Bewohner Burundis dem Beispiel von Burkina Faso folgen könnten: In dem westafrikanischen Staat war es Ende Oktober zu schweren Protesten gekommen, weil Langzeitpräsident Blaise Compaore für eine weitere Amtszeit die Verfassung ändern lassen wollte. Die Unruhen zwangen den 63-Jährigen schließlich zum Rücktritt und zur Flucht aus seiner Heimat.

„Wenn es dort passiert ist, dann kann es überall passieren, denn die Menschen auf diesem Kontinent wollen kein Regime mehr akzeptieren, das sein Mandat überschreitet“, erklärt Barumwete.

Die Regierungspartei CNDD-FDD sieht das anders. „Burundi ist nicht Burkina Faso“, sagt der Vorsitzende Pascal Nyabenda in seinem schmucken Büro im Zentrum der Hauptstadt Bujumbura. „Wir wissen, was Krieg und Gewalt sind, und die Menschen in diesem Land wollen keine Konflikte mehr.“

Der gewichtige Politiker, der von vielen selbst als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt wird, ist zudem überzeugt, dass Nkurunzizas Pläne verfassungskonform sind. Jedoch wird erst ein Parteikongress, der voraussichtlich im März abgehalten wird, über den Spitzenkandidaten entscheiden. Sollte es tatsächlich Nkurunziza sein, so drohen Proteste.

„Wir werden auf die Straßen von Bujumbura gehen und dagegen demonstrieren“, sagt Oppositionssprecher Mugwengezo. „Wir planen friedliche Proteste, aber wenn die Regierung versuchen sollte, uns zum Schweigen zu bringen, dann sind wir zu Opfern bereit.“

Als Joker bei der Abstimmung gilt vielen derweil der frühere Rebellenführer Agathon Rwasa, der plant, als unabhängiger Kandidat anzutreten. Er ist ebenfalls überzeugt, dass Nkurunziza sich nicht erneut der Wahl stellen sollte. „Wir dürfen die Verfassung nicht mit Füßen treten, sonst können wir ja gleich zurück in den Dschungel gehen und wieder wie in der Prähistorie leben“, sagt er und blickt von der Terrasse seiner hübschen Villa hoch über den Dächern von Bujumbura nachdenklich in die Ferne. „Die Wahlen müssen Burundi dabei helfen, sich auszusöhnen, sie müssen der Startpunkt einer neuen Ära sein“, meint der Politiker. „Sonst wird es Krieg geben.“