Gesellschaft

Herberge auf Zeit in Osttirol

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Einige Dutzend Menschen aus Krisenländern verwandelten im Lienzer Asylwerberheim ihre gemeinsame Weihnachtsfeier in ein Geburtstagsfest – für die langjährige Leiterin der Unterkunft, Janette Schneider.

Von Christoph Blassnig

Lienz –Janette Schneider steht auf einer Bank im Speisesaal der Lienzer Angerburg. Sprachlos, so kennt man sie nicht. Das gesteht die Leiterin der Flüchtlingsunterkunft auch selbst, tief berührt. „Danke, danke, danke!“

Umringt ist sie von Menschen, die singend, klatschend und johlend „ihrer“ Janette zum runden Geburtstag gratulieren. Trommelschläge, ein Blitzlichtgewitter und viele Erinnerungsfotos mit strahlenden Gesichtern. Der Christbaum, die gespendeten Geschenke für alle Heimatsuchenden, ein Mann als Santa Claus – die Weihnachtsfeier, der eigentliche Anlass des Abends, scheint mit einem Moment fast vergessen.

Das jüngste Kind in der Angerburg ist keine zwei Wochen alt. Mutter und Vater sind stolz auf ihre dritte Tochter, die liebevoll von Arm zu Arm gereicht wird, und dabei ruhig schläft. Ihre Heimat Dagestan musste die Familie verlassen. Jetzt hofft sie auf ein neues Leben in Sicherheit durch Asylstatus in Österreich.

Der Abend beginnt mit einer kleinen Überraschung: Ein Gastwirt habe Gulaschsuppe mit frischen Semmeln geschickt, wird verkündet. Die Teller sind bald serviert.

Ein kleiner Junge mit dunkler Hautfarbe und knopfbraunen Augen flitzt aufgeregt durch die Bankreihen. Dass er seine Hose fast verliert, stört ihn nicht.

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Drei junge Afrikanerinnen kommen zur Feier. In bodenlange, traditionelle bunte Kleider gehüllt, auch die Haare in Tücher geschlungen. Anmutig wie Weise aus dem Morgenland bewegen sie sich. „Was diese Frauen aus Somalia erleiden mussten, ist einfach schrecklich“, flüstert Margarethe Oberdorfer, Vermieterin der Flüchtlingsunterkunft in Dölsach, betroffen. „Das bedrückt und beschämt, und doch haben sie ihr Lächeln nicht verloren.“ Fleißige Handarbeiterinnen und sehr hilfsbereit seien Foosiyo, Rukija und Sahra.

Das Licht wird weniger. Ein Mann mit weißem Rauschebart und rotem Mantel verteilt Geschenke. „Wir haben uns für Santa Claus entschieden, weil diese Figur international noch am bekanntesten ist“, erklärt Schneider. „Viele kennen den christlichen Glauben und seine Symbole nicht. Wir sprechen im Unterricht über die Bedeutung des Weihnachtsfestes.“

Alle Bewohner aus der Angerburg und dem Zuhause in Dölsach werden mit Namen aufgerufen. Kinder und Erwachsene, keiner wird vergessen. Eine Familie aus Afghanistan hat gerade Asyl bekommen, ihr größtes Geschenk. Eine andere mit drei Kindern wohnt seit fünf Jahren im Haus in Lienz und bangt immer noch um eine positive Entscheidung.

Ein junger Mann ist mit seinen weißen Ohrhörern unter der Mütze eindeutig als Musikliebhaber erkennbar. Ein anderer bevorzugt Hemd mit Masche. Für einen Anzug mit Krawatte hat sich ein dritter entschieden. Auch die Kinder zeigen sich in ihren schönsten Kleidern. Junge Mädchen tragen ihr schwarzes Haar zu Zöpfen geflochten, sitzen zwischen ihren Müttern rund um den Tisch.

Eine alleinerziehende Mutter dreier kleiner Kinder darf bleiben. Sie hat schon eine eigene Wohnung bezogen. Im März erwartet ein junges Paar sein erstes Kind. Ein älterer Asylwerber aus Tschetschenien ist ein wichtiger Ansprechpartner und anerkannter Berater für die jungen Männer im Haus.

Einer von ihnen hat im Golfhotel eine Lehrstelle in der Küche gefunden. „Was kannst du schon kochen?“, fragt ihn der Bärtige. „Tiroler Knödel, Schnitzel?“ „Alles, alles!“, kommt selbstbewusst lächelnd die Antwort.

„Das ist manchmal schon ein Problem für uns“, verrät Marianne Oberdorfer. „Gefragt danach, was einer kann, kommt immer: Alles! Wir müssen sie erst kennen lernen, damit wir dann auch wirklich ihren Begabungen gerecht eine Arbeit für unsere Leute finden.“

Nachdem jeder Besucher begrüßt und alle Geschenke verteilt sind, wird Janette Schneider unter einem Vorwand aus dem Saal begleitet. Die Tür in den Garten geht auf. Brennende Teelichter zeichnen in der dunklen Nacht einen großen Fünfziger in die Wiese. Die Menschen bilden darum einen Kreis. Als Janette im zweiten Stock zu ihrer Überraschung auf den Balkon geführt wird, bricht lauter Jubel los. Manche tanzen. Minuten später steht Janette auf der Bank im Speisesaal und wird überschwänglich gefeiert.

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Catharina Oblasser

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