Mehr lästig als lustig - der „Floh im Ohr“ im Volkstheater
Wien (APA) - „Wollen ist können“, lautet das Behandlungsmotto des windigen Mediziners Dr. Finache für Impotenzen aller Art. Autosuggestion a...
Wien (APA) - „Wollen ist können“, lautet das Behandlungsmotto des windigen Mediziners Dr. Finache für Impotenzen aller Art. Autosuggestion als Allheilmittel. Künstlerisch scheint das Rezept nicht zu funktionieren. Der „Floh im Ohr“, den Regisseur Stephan Müller in die Hörorgane des Volkstheater-Publikums appliziert, will jedenfalls mehr als er kann. Der Flohzirkus wurde am Freitag am Ende dennoch bejubelt.
Das 1907 uraufgeführte Lustspiel von Georges Feydeau, das in der Übersetzung von Elfriede Jelinek gespielt wird, gilt als Klassiker des Genres und benützt alles, was der Gott des Geschmacks und die Polizei der politischen Korrektheit verboten hat, als Lachnummern: Sprachfehler und Impotenz, Doppelgänger und Seitensprünge, anonyme Briefe, himmelschreiende Dummheit und rasende Eifersucht. Das kann sehr lustig sein. Oder sehr blöd.
Am Volkstheater setzt Bühnenbildner Siegfried E. Mayer auf knallige Überzeichnung: Das traute Heim von Monsieur Chandebise besteht praktisch nur aus Türen, das Stundenhotel „Zur zärtlichen Miezekatze“ praktisch nur aus Treppen. Die Wände des einen sind schwarz-weiß längs, die des anderen kunterbunt quer gestreift. Zentrum des Hotels ist ein Bett, das per Knopfdruck rotiert, um bei Nachstellungen eifersüchtiger Partner einen harmlosen Rheumatiker (Erwin Ebenbauer im karierten Pyjama) statt eines entblößten Gatten bettlägerig zu präsentieren.
Was Müller in diesem Ambiente an tollem Treiben entfacht, ist turbulent und kommt doch während langer zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) nicht recht vom Fleck, ist irr und doch nicht hintergründig, drastisch und dennoch unentschlossen. Denn ein jeder bemüht sich nach Kräften (Matthias Mamedof als mit einem Sprachfehler geschlagener Vokal-Artist und Till Firit in der Doppelgänger-Rolle eines liebenswürdigen Bürgers und eines alkoholisch gefährdeten Hausdieners sind dabei am erfolgreichsten) um die schillernden Aspekte seiner Figur, ohne dass daraus eine Linie erkennbar wäre.
Weder bricht sich der Wahnsinn langsam seine Bahn und lässt entäußerte Bürger schaudernd in eigene und fremde Abgründe blicken, noch regiert die reine Anarchie, die in der totalen Übersteigerung neue Ein- und Ausblicke ermöglichen würde. Der gewählte Mittelweg lautet: Das Stück muss funktionieren. Die richtige Tür muss im richtigen Moment zugehen. Das Geheimnis bleibt draußen.
Kabinettstücke der Überdrehtheit wie Susa Meyer und Martina Stilp als die beiden mit gewagten Frisuren und exaltierten Umgangsformen ausgestatteten Freundinnen Raymonde und Lucienne rotieren im Leerlauf. Nur ausnahmsweise stimmt der Rhythmus, dann hebt der Abend im Stakkato der Fußtritte oder im Parlando der plötzlich auf Spanisch ablaufenden Konversation ab in den schrankenlosen Komödienhimmel des reinen Nichts.
„Während ich den Irrsinn arrangiere, der das Publikum zum Lachen bringt, bin ich ernsthaft wie ein Apotheker, der mit äußerster Kaltblütigkeit ein Medikament herstellt“, zitiert das Programmheft Feydeau. „In meine Arznei gebe ich ein Gramm Verwicklung, ein Gramm Pikanterie, ein Gramm Beobachtung und vermische diese Elemente dann sorgfältig.“ Im Volkstheater hat man sich mit der Dosis geirrt. Die Nebenwirkungen sind Lähmungserscheinungen und Schläfrigkeit. Das ist lästig statt lustig. Aber auch nicht tragisch. Besser ein Floh im Ohr als ein Loch im Knie.
(S E R V I C E - „Floh im Ohr“ von Georges Feydeau, Deutsch von Elfriede Jelinek, Regie: Stephan Müller, Bühne: Siegfried E. Mayer, Kostüme: Carla Caminati, Musik: Fabian Kalker. Mit Till Firit, Matthias Mamedof, Patrick O. Beck, Roman Schmelzer, Ronald Kuste, Alexander Lhotzky, Jan Sabo, Stefan Bernhard, Erwin Ebenbauer, Susa Meyer, Martina Stilp, Andrea Bröderbauer, Fanny Krausz und Irina Mocnik/Daniela Moser. Volkstheater Wien, Nächste Vorstellungen: 22., 23., 27., 28.12., 3., 4., 10., 11., 14., 16.1., Karten: 01/52111-400, www.volkstheater.at)