„Wer eine pompöse Kirche will, hat keine Freude mit diesem Papst“
Pater Georg Sporschill arbeitet dort, wo das Elend zu Hause ist. Bei den Roma-Familien. Er ist froh, dass auch der Papst den Blick auf das Elend richtet.
Innsbruck – Welche Bedeutung hat Advent für Ihre Arbeit?
Georg Sporschill: Der Advent bedeutet für mich Hoffnung und das Warten auf den Erlöser, das Hoffen auf Erlösung. Als Sozialarbeiter sieht man oft die Fortschritte nicht, die Erlösung nicht. Aber der Advent schürt Hoffnung und verbietet mir, hoffnungslos zu sein.
Das heißt, der Advent ist für Sie ein Kraftgeber?
Sporschill: Advent ist die Zeit der Gnade. Ja, ich spüre immer noch im Advent einen gewissen Schub für meine Arbeit. Mein Ziel ist es immer wieder, dass das eine oder andere Roma-Kind eine Chance bekommt, obwohl es auf den ersten Blick chancenlos ist für dieses Kind auf dieser Welt.
Wir sind vor diesem Interview eine knappe Stunde über Felder und Hügel gemeinsam nach Ziegental
Tichindeal marschiert. Angekommen sind wir im Elend. In diesem verlassenen Roma-Dorf hausen Großfamilien auf engstem Raum in nasskalten Lehmhütten. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Menschen Advent als Zeit der Gnade wahrnehmen.
Sporschill: Das mag stimmen. Sie kennen das Wort auch nicht. Aber seit zwei Jahren arbeitet in Ziegental eine Gruppe junger Menschen im Namen des Propheten Elijah. Und mit dieser Arbeit ist es gelungen, den Menschen die Aussichtslosigkeit ein wenig zu nehmen. Aus der Trostlosigkeit heraus sind wieder Wünsche entstanden. In unserem kleinen Sozialzentrum können sich die Kinder waschen. Dort haben sie einen Tisch und Licht, was sie zuhause alles nicht haben. Hier bekommen sie nach der Schule eine warme Suppe.
Sie arbeiten nun seit mehr als zwei Jahren gemeinsam mit Ruth Zenkert in Transsilvanien. Zuvor waren Sie in Moldawien. Sie ließen sich in Ihrer Arbeit von der Krise der katholischen Kirche nie beirren. Warum auch, sagten Sie immerzu, ich gehe mit meiner Kirche im Rucksack dorthin, wo Not herrscht, um zu helfen. Jetzt ist ein Papst im Amt, der auch den Blick aufs Elend richtet. Verändert sich damit für Sie der Blick auf ihre Kirche.
Sporschill: Franziskus hat die Stimmung für viele Menschen in der Kirche – und auch außerhalb – verändert. Er hat tatsächliche eine adventliche Stimmung geschaffen. Natürlich fühle ich mich durch den Papst in meiner Arbeit bestärkt und ermutigt. Die Arbeit geht weiter wie vorher, das Elend bleibt, aber ich fühle mich mehr hineingenommen in die Kirche, ich empfinde es so, dass ich von der Kirchen wieder getragen werde. Der Papst überrascht, fordert einen und lässt einen nicht selbstzufrieden werden.
Franziskus gehört wie Sie zum Jesuiten-Orden. Konnte er Sie also überhaupt überraschen.
Sporschill: Ja, ich war sehr überrascht, dass er auch als Papst wie ein Sozialarbeiter auftritt. Ich hatte nach seiner Wahl erst erfahren, dass er bereits als Kardinal ganz nah bei den Armen gelebt hatte. Ich weiß schon, warum sie so fragen. Ich sage ihnen: Der Papst ist ein vorbildlicher Jesuit – und er lebt das einfachen Leben.
Sie hatten bis zu seinem Tod eine sehr freundschaftliche und intellektuelle Beziehung zum früheren Kardinal von Mailand, Carlos Maria Martini, gehabt. Martini war einer der prominentesten Vertreter einer weltoffenen und selbstkritischen Kirche. Er war auch Jesuit. Verkörperte für Sie Kardinal Martini so wie jetzt der Papst sinnbildlich die notwendige Erneuerung der Kirche?
Sporschill: Der heilige Ignatius, der Ordensgründer, wollte der Kirche dort helfen, wo es am schwierigsten ist. Wenn es solche großen Persönlichkeiten gibt wie Kardinal Martini oder Papst Franziskus, die den Geist von Igantius so verinnerlicht haben, dann bringt dies auch die Kirche den Menschen wieder näher. Die Kirche kann wieder zu einem Ort der Ermutigung für Menschen werden. Aus meiner Sicht ist Papst Franziskus ein Glücksfall für die Kirche. Doch wir dürfen nicht vergessen: Viele Menschen reagieren mit Angst auf Veränderungen. Das ist auch innerhalb der Kirche so.
Es scheint so, dass der Papst versucht, im Vatikan die Ära des Dogmatismus zu beenden.
Sporschill: So könnte man es formulieren. Der Papst ist ein biblischer Menschen. Und die Bibel kommt vor dem Dogma.
Hat Sie in der Vergangenheit Rom nie verzweifeln lassen?
Sporschill: Ich war nicht im Widerstand, ging nicht in die innere Emigration. Es hat mich schlichtweg nur nicht interessiert, was in Rom vor sich ging. In Rom wurde oft Antworten gegeben auf Fragen, die niemand gestellt hatte, da wurden Sachen verteidigt, die niemanden mehr interessiert hatte. Doch jetzt merke ich, wie die Kirche wieder andockt ans Leben. Die Kirche als Freundin, als Partnerin, gewinnt an Glaubwürdigkeit. Was mich besonders freut, ist die Tatsache, dass der Papst allergisch auf den lange vorherrschenden Klerikalismus reagiert. Der Papst sagt: Kein Kleriker darf sich einbilden, etwas Besseres zu sein. Wahrscheinlich haben einige Kleriker nicht gespürt, wie lächerlich der Klerikalismus wirkt.
Papst Johannes XXIII. hat mit dem Zweiten Vatikanum die Fenster aufgestoßen. Doch dann bemührt sich die Kirchen recht erfolgreich, die Türen wieder zu schließen.
Sporschill: Nach dem Zweiten Vatikanum gab es eine gute Stimmung. Doch zugleich entstand Angst aus Sorge um die Kirche. Diese Angst wurde unter anderem von Kardinal Joseph Ratzinger verkörpert. Der jetzige Papst geht wieder auf die Menschen zu.
Jetzt sind die Bischöfe gefordert, die Schritte des Papstes nachzuvollziehen.
Sporschill: Ich denke, die ängstlichen Bischöfe sind mutiger geworden, die klerikalen Bischöfe hingegen, die sich in ihren Palais verschanzt haben, werden jetzt Angst bekommen. Man muss es offen ansprechen: Wer gerne die pompöse Kirche haben will, der kann mit diesem Papst keine Freude haben.
Weihnachten ist die Zeit des Wünschens.
Sporschill: Auch für mich. In Ziegental wird es jetzt sehr kalt. Ich wünsche mir. dass wir noch viele Dächer abdichten können, ich möchte helfen, dass die Roma ihr Brot nicht stehlen müssen, sondern es sich erarbeiten können.
Im März treffen sie den Papst. Was möchten Sie ihm sagen?
Sporschill: Ich möchte ihm einfach nur Danke sagen. Er werde ihn begeistert anschauen. Und ich werde ihm von Kardinal Martini erzählen.
Das Gespräch fürte Michael Sprenger
Pater Georg Sporschill wurde als fünftes von neun Kindern in Feldkirch geboren. Der Jesuitenpater arbeitete in Wien mit den Obdachlosen und seit Beginn der 1990er-Jahre in Osteuropa mit und für die Verlassenen der Gesellschaft. Er ist für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden (u.a. Bruno Kreisky-Preis für Menschenrechte).
Projekt Elijah (office.wien@elijah.ro) Nach der Arbeit mit den Straßenkindern in Rumänien und den Ärmsten in Moldawien hat Pater Sporschill vor knapp zwei Jahren seine Arbeit für die Roma-Bevölkerung in Siebenbürgen aufgenommen. Gemeinsam mit Mitarbeitern, finanziert von Spenden, versucht er den Menschen die Hoffnung zurückzubringen.