Occupy Schauspielhaus: Grazer „Community“ als düstere Zukunftsvision
Graz (APA) - Das Schauspielhaus Graz ist besetzt. Die Schauspieler wehren sich damit in der alle Lebensbereiche umfassenden Krise gegen die ...
Graz (APA) - Das Schauspielhaus Graz ist besetzt. Die Schauspieler wehren sich damit in der alle Lebensbereiche umfassenden Krise gegen die geplante Umwandlung des aus Kostengründen geschlossenen Theaters in ein Hotel. Das ehemalige Publikum ist zum Besuch des auf der Bühne errichteten Besetzer-Camps eingeladen und wird angesichts des erwarteten Polizei-Einsatzes zu Kollaborateuren. Graz im Jahr 2018.
Dieses Szenario haben sich die israelische Regisseurin Yael Ronen und ihr Ensemble für ihre nach „Hakoah Wien“ und „Niemandsland“ dritte gemeinsame Arbeit in Graz ausgedacht. „Community“ führt mitten in zentrale Gedanken, die sich Staatsbürger und Theaterschaffende heute so machen: Was tun, wenn die ständig an die Wand gemalte Krise tatsächlich eines Tages in der Vehemenz eintritt, die wir bisher nur aus Nachrichten von anderswo kennen? Wenn die Entsolidarisierung fortschreitet, das Leben zum Überlebenskampf und Kultur zum Luxusgut wird, das sich die Gesellschaft nicht mehr leisten will?
Der künstlerische Erfolg dieser Mischung aus Stück, Workshop und Happening, die bei der gestrigen Uraufführung das Publikum gleichermaßen faszinierte wie überrumpelte, beruht darauf, dass hier niemand so tut, als wüsste er, wie‘s geht, und dass sich keiner besser macht, als er ist. Schauspieler sind verdammt egoistische Wesen, die sich auch in Momenten höchster Not in Szene setzen wollen, und sie können echt hilflos sein, wenn ihnen Regisseur, Text und Publikum fehlen. „Community“ ist intelligent und selbstironisch zugleich. Es spielt mit den Möglichkeiten und Wirkungen des Theaters, macht sich Gedanken über seine Entstehungsbedingungen und setzt sich in Bezug zu seiner Umgebung.
Der bloß 75-minütige Abend beginnt fast Schlingensief-mäßig. Das sechsköpfige Ensemble holt die Zuschauer mit Megafonen aus dem Foyer ab und lädt zum Solidaritäts-Besuch bei den Besetzern ein. Auf der Bühne können seltsame, selbst gebastelte Installationen und Apparate besichtigt werden, die ein gemeinsames, weitgehend autarkes Leben in Krisenzeiten ermöglichen sollen: Gemüse- und Kräuterbeete, eine Waschmaschine mit Fahrradantrieb, ein Ergometer für die Stromerzeugung, eine mit einem Gewächshaus kombinierte Dusche, das große, gemeinsame Matratzenlager. Doch das Kommunenleben kann auch ganz schön nervend sein.
Die Revolutionsromantik wird durch „Sicherheitsanweisungen“ gebrochen: Was tun, wenn die Polizei zum Sturm ansetzt? Wenn der Einsatz von Gewalt und Tränengas zu befürchten ist? Dann werde man die Türen verbarrikadieren und das gemeinsam durchstehen. Im Publikum anwesende Ärzte werden ausgemacht und mit Armbinden gekennzeichnet. Schön, dass endlich das geliebte und schmerzlich vermisste Publikum einem beistehe, die frühere Beziehung sei doch ein wenig einseitig gewesen, heißt es. Hie und da ein Publikumsgespräch sei einfach zu wenig. Stattdessen gibt es nun herzhafte Umarmungen für die verdutzten Besucher.
Man outet seine privaten Seiten, Leben und Spielen werden eins, kommen einander immer wieder in die Quere. Während Sebastian Klein eine große, programmatische Rede schwingt („In Zeiten der existenziellen Krise - was sollte da das Theater sein?“), stehlen ihm die Kollegen (Kaspar Locher, Michael Ronen und Jan „Ich war hier der Faust in ‚Faust‘“ Thümer) mit kleinen, subtilen Aktionen die Show. Schauspielhaus Graz-Star Birgit Stöger (die 2018 als einzige des Ensembles noch Arbeit hat, weil sie dann am Burgtheater engagiert sein wird) erinnert sich an sämtliche im Laufe ihrer Karriere auf der Bühne erlittenen Vergewaltigungen, während Kollegin Katharina Klar beklagt, als emanzipierte junge Frau von heute in alten Stücken dauernd von den männlichen Kollegen niederquatscht und marginalisiert zu werden. Was hat das mit dem Thema zu tun? Viel, denn es stellt die Frage nach der Relevanz des eigenen Tuns.
Immer wieder wird gerade Vorgegebenes gebrochen. Die furchtbare Geschichte von Menschen, denen das eigene Leben und das ihrer Kinder nichts mehr wert ist, mit der einer der Schauspieler betroffen macht, erweist sich im nächsten Augenblick als erfunden. Natürlich schreiben wir nicht 2018 und „bis jetzt ist nicht einmal die Krise da“! Da macht ein anderer Schauspieler mit den aktuellen Arbeitslosen-, Einkommens- und Delogierungszahlen der Steiermark vertraut, und schon wird es wieder ganz still im Saal. „Wenn wir relevant sein wollen, müssen wir uns mit der Realität verbinden.“ Sympathisches Pathos oder weltfremde Utopie?
Für das Ausmalen weit ausschwingender Zukunftsvisionen, in alle Lebensbereiche vordringender Krisenszenarien fehlt an diesem Abend Lust oder Kraft. Vielleicht ist das auch gut so. Über das, was einem am nächsten ist, kann man am besten reden. Und am Ende herrscht sowieso Ausnahmezustand. Da kündigt sich der Sturmangriff der Polizei an, da scheitern die letzten Verhandlungen in grotesk-komischer Weise, da beginnt Tränengas einzuströmen und senkt sich der Eiserne Vorhang. Der Vorhang zu und alle Fragen offen. Gut so. Starker, anerkennender Applaus für eine aufregende Produktion, mit der sich Theater in seiner Selbstbefragung selbstbewusst als zeitgenössisches Medium behauptet.
(S E R V I C E - „Community“ von Yael Ronen & Ensemble, Uraufführung, Konzept und Regie: Yael Ronen, Bühne: Sylvia Rieger, Musik: Yaniv Fridel, Kostüme: Sophie du Vinage, Mit Katharina Klar, Birgit Stöger, Sebastian Klein, Kaspar Locher, Michael Ronen und Jan Thümer, Schauspielhaus Graz, Nächste Vorstellungen: 27.12., 8., 9., 21., 28.1., Karten: 0316 / 8000, www.schauspielhaus-graz.com)
(B I L D A V I S O - Pressebilder stehen im Pressebereich von www.schauspielhaus-graz.com zum Download bereit.)