500 Tiroler machen jährlich Familien-Zwangspause
Gewaltschutzzentrum und Neustart versuchen familiäre Gewalt aufzubrechen. Wegweisungen dienen meist dem Erhalt von Beziehungen.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck –Täglich treffen beim Gewaltschutzzentrum Tirol Meldungen der Exekutive wegen Wegweisungen und Betretungsverboten nach häuslicher Gewalt ein. Oft hat sich ein Partner erst nach jahrelanger Tortur zum Anruf bei der Polizei entschieden.
Gewaltschutzzentrum-Geschäftsführerin Angela Federspiel: „Ein Schlag ins Gesicht brachte vielleicht das Fass zum Überlaufen. Wir nehmen darauf selbstständig Kontakt zu den Opfern auf. Für manche ist es erst einmal wichtig, nur eine Kontaktadresse zu haben. 95 Prozent der Opfer nehmen unsere Hilfsangebote aber letztlich an.“ Auch wenn die Dunkelziffer hoch ist, hat das Gewaltschutzzentrum Tirol heuer alleine bis Ende Oktober 959 Fälle von Betroffenen aufgenommen. 834 waren Frauen, 125 Männer.
Neben dem von Neustart (Bewährungshilfe) begleiteten Tatausgleich – ungefähr 20 Prozent der Täter leisten so ihrem Opfer Wiedergutmachung – wirken Gewaltschutzzentrum und Neustart in der „Bundesarbeitsgemeinschaft opferschutzorientierte Täterarbeit“ zusammen. Neustart arbeitet dabei intensiv mit den Tätern, um Gewalttaten zu verhindern, das Gewaltschutzzentrum bereitet wiederum die Opfer auf künftige Verhaltensänderungen der Partner vor.
So, wie beispielsweise der Mann dabei lernt, mit der Hand höchstens auf den Tisch, aber nie auf eine Person zu schlagen, lernt seine Frau, dem Partner nach Streitigkeiten auch einen Abkühlungsprozess zuzugestehen und diesen eventuell ohne weitere Kommentare aus der Wohnung gehen zu lassen.
Neustart-Geschäftsführerin Kristin Henning zur Tiroler Tageszeitung: „Die Ächtung der Gewalt alleine reicht nicht aus. Wir müssen die Opfer unterstützen, aber eben auch mit den Tätern daran arbeiten, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen. Da Gewalttäter oft selbst Opfer von Gewalt waren, ist es wichtig, ihre Gewaltdynamik zu verstehen.“
Die Täterarbeit geht dabei in die Tiefe: „Zweck der Deliktarbeit ist es, dass der Täter Verantwortung übernimmt. Verleugnungen und Rechtfertigungen werden aufgedeckt. Eigene, oft verdrängte, Opfererfahrungen werden wieder bewusst. Der Täter lernt dadurch, Grenzen zu erkennen und sich in die Lage der von Gewalt betroffenen Partnerin und der mitbetroffenen Kinder hineinzuversetzen. Gewalt ist ja oft Ausdruck von Ohnmacht und Frustration – bei genauem Hinsehen wird oft sichtbar, dass der scheinbar mächtige Täter sich sehr schwach fühlt“, so Henning.
Als reines Erfolgsmodell sehen beide Expertinnen das Instrument der vorübergehenden Wegweisung eines Gewalttäters aus seiner Familie. Das Gewaltschutzzentrum wurde bis Ende Oktober von 431 Wegweisungen und Betretungsverboten informiert, über 500 werden es jedenfalls bis zum Jahresende sein.
Federspiel: „Die Wegweisung ist ein wichtiges Instrument zur Unterbrechung des Gewaltkreislaufes. Täter und Opfer befanden sich zuvor in einer Hochrisikosituation. Viele denken sich dann doch, dass sie einen Schritt zu weit gegangen sind.“ Interessantes Detail: Wegweisungen folgen kaum – oft beidseits existenzvernichtende – Scheidungen. Federspiel: „Gewalt herausnehmen, aber Lebensumfeld erhalten.“