Conchitas Triumph: Wir sind Song Contest
Verbale Entgleisungen im In- und Ausland und schließlich doch ein Sieg der Toleranz. Conchita Wurst setzte sich beim Wettsingen in Kopenhagen die Krone auf.
Innsbruck – „Jetzt hat uns die den Schaas gewonnen.“ Andi Knolls Reaktion auf Conchita Wursts Sieg beim Song Contest wurde nicht nur als das „I wer’ narrisch“ der Facebook-Generation gefeiert. Der Satz wurde auch zum „Spruch des Jahres“ gekürt. Der weltweite Jubel über den Triumph der bärtigen Diva beim Song Contest übertraf Knolls ironische Zurückhaltung freilich bei Weitem. Die Wurst ist international seitdem heiß begehrt. Ein Fotoshooting mit Karl Lagerfeld, ein Lauf über den Catwalk für Jean Paul Gaultier und demnächst steht auch ein Hollywood-Besuch auf dem Programm: Am 11. Jänner wird die Transgender-Künstlerin in Los Angeles über den roten Teppich bei den Golden Globe Awards staksen. Darüber hinaus ist Wurst Ehrenbürgerin in Entenhausen und Stargast im Crazy Horse, sie trat im Europaparlament ebenso auf wie in der Wiener UNO-City vor Ban Ki-moon. Botschafterin und Werbeträgerin ist die Künstlerin sowieso, selbst im Twitter-Ranking schlägt sie den heimischen Kurztext-König Armin Wolf.
Dabei gab es durchaus Anlaufschwierigkeiten für den großen Auftritt im vergangenen Mai. 2012 hatte sich im heimischen ESC-Vorentscheid noch das Landdiscoduo Trackshittaz gegen die Kunstfigur durchgesetzt. Die Trackshittaz schafften es mit ihrer Nummer „Woki mit deim Popo“ in Baku aber nicht über das Semifinale hinaus. Der Sänger Tom Neuwirth, der sich bei der „Großen Chance“ als Conchita Wurst neu erfunden hatte, stieg schließlich zwei Jahre später wie ein Phönix aus der Asche. „Verschwulte Zumpferl-Romantik“, ortete da Kabarettist und Ex-ESC-Starter Alf Poier im Vorfeld. Doch von den verbalen Entgleisungen im In- und Ausland (z. B. „spirituelles Verderben“, Witali Milonwo, Lokalpolitiker St. Petersburg) ließ sich die Travestiekünstlerin nicht aus dem Konzept bringen. Mit der an einen Bond-Song erinnernden Ballade „Rise like a Phoenix“ gelang Wurst nach Udo Jürgens Triumph 1966 mit „Merci Cherie“ der nunmehr zweite Sieg für Österreich. Mit 290 Punkten vor den mit 238 Punkten Zweitplatzierten The Common Linnets aus Holland ein deutlicher obendrein. Gleich 13 Länder verliehen nach der großartigen Performance die Höchstpunktezahl 12 – von Israel bis Spanien. „We are unstoppable“, sagte Conchita Wurst nach dem Sieg. Ein Satz, der ebenfalls Anwärter auf den Spruch des Jahres war, sich aber Knolls Äußerung geschlagen geben musste. International fielen die Reaktionen ebenfalls recht blumig aus, Alt-Popstar Elton John schickte beispielsweise Orchideen samt Grußbotschaft. In internationalen Medien wurde von einem historischen Sieg gesprochen, die gesellschaftspolitische Bedeutung wurde betont. Auch die heimische Politik stürzte sich in dem allgemeinen Hype auf die Wurst. Für Bundeskanzler Werner Faymann verkörpert sie „Eine Botschaft, die heißt Toleranz, eine Botschaft, die heißt Liebe, Lebensfreude.“ Die parteipolitische Vereinnahmung, die Faymann daraufhin vorgeworfen wurde, ließ Wurst ebenso kalt wie die anhaltenden Misstöne aus Osteuropa. Ob sie in punkto Toleranz etwas bewirkt habe, wurde die Sängerin unlängst gefragt: „Ich fürchte fast, dass das eine Lebensaufgabe wird.“ Ein Teil dieser Aufgabe wird der Song Contest 2015 in Wien werden, Wurst singt und wird auch die Künstler im Green Room interviewen. (TT)