Die Zivilcourage und ihr Preis
Laura Poitras rekonstruiert in ihrem für den Dokumentarfilm-Oscar nominierten Film „Citizenfour“ die Geschichte und Tragödie des Whistleblowers Edward Snowden.
Von Peter Angerer
Innsbruck –In der Watergate-Affäre, die den US-Präsidenten Richard Nixon als Lügner entlarvte und zu dessen Rücktritt führte, war es ein hochrangiger FBI-Agent, der den Journalisten Bob Woodward mit Ermittlungsergebnissen versorgte. Dazu trafen sich der Reporter und der Agent 1973 in einer dunklen Parkgarage. Diese „analoge“ Kommunikationsform empfiehlt die Journalistin und preisgekrönte Filmemacherin Laura Poitras am Ende ihres Films „Citizenfour“ auch für künftige Whistleblower. Das kann nach dem zuvor Gesehenen nicht ganz ernst gemeint sein, denn Parkgaragen ohne Videoüberwachung gibt es nicht mehr und schon die Vereinbarung eines konspirativen Treffens könnte Aufmerksamkeit erregen.
Im Jänner 2013 suchte der von einer Privatfirma an die NSA verliehene Systemadministrator Edward Snowden unter dem Code „Citizenfour“ den Kontakt mit der Dokumentarfilmerin, die ihm zuvor mit Aufarbeitungen („My Country, My Country“, 2006) der Folgen von 9/11 und des „Patriot Act“ für die Bevölkerung aufgefallen war. Laura Poitras war natürlich auch Regierungsstellen und Nachrichtendiensten aufgefallen, weshalb sie ihren Wohn- und Arbeitsplatz nach Berlin verlegt hatte. Einigermaßen vertraut mit dem Umgang von Verschlüsselungssoftware trafen sich Poitras und Snowden in Hongkong, wo der Whistleblower in einem Hotel untergetaucht war – und Poitras begann zu filmen. Der beigezogene Journalist und Anwalt Glenn Greenwald muss erst wie in einem Volkshochschulkurs mit dem Senden und Empfangen verschlüsselter Nachrichten vertraut gemacht werden, der ebenfalls anwesende investigative Reporter des britischen Guardian bleibt beharrlich beim Analogen. Ewen MacAskill schreibt entgegen der in seinem Namen enthaltenen Vermutung mit einem Bic-Kuli. Greenwald besitzt zumindest ein Macbook, in das Snowden, aus Angst vor einer Überwachungskamera unter einer „magischen Decke“ versteckt, seine brisante Lawine aus Enthüllungen über die Überwachungstechniken und Praktiken der NSA und mit ihr verbündeter Geheimdienste schiebt. Tage später, Greenwald und MacAskill haben die Daten analysiert, verändert sich der Blick auf die Welt und vor allem jener auf das Internet. Aber selbst nach der ersten von CNN gezündeten Nachrichtenbombe ist Snowden noch immer ein anonymer Whistleblower, der in seinem Hotelzimmer auf die Enttarnung wartet, zugleich aber auch an der Preisgabe seiner Identität arbeitet.
Laura Poitras erzählt in „Citizenfour“ – der Film ist für den Dokumentarfilm-Oscar nominiert – die Geschichte Edward Snowdens und jener Tage im Hotel in Hongkong in ungeschnittenen Aufnahmen, auch um die Authentizität der Bilder zu verstärken. Der Nachteil des Verfahrens sind dabei manche Ungereimtheiten bei der Chronologie der Ereignisse. Hinter den Bildern bahnt sich schnell die Tragödie des Whistleblowers an. Er wird nie wieder ein normales Leben führen können, am Ende ist er noch einmal beim Nudelkochen in Moskau zu sehen. Das ist ein hoher Preis für Zivilcourage.