Griechenland - Reparationsforderungen: Die Geschichte holt Merkel ein
Athen (APA/dpa) - Griechenland fordert Milliarden von Deutschland wegen Altlasten des Zweiten Weltkriegs. Was wie Wortgeklingel in der Euro-...
Athen (APA/dpa) - Griechenland fordert Milliarden von Deutschland wegen Altlasten des Zweiten Weltkriegs. Was wie Wortgeklingel in der Euro-Krise wirkt, hat für Historiker und Völkerrechtler durchaus Berechtigung. Einer wirft der deutschen Kanzlerin eine beschämende „Schlussstrich-Politik“ vor.
Im Politischen Archiv des Auswärtigem Amtes schlummert ein Dokument, das Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch viel Ärger bereiten kann. Der Bericht „Wirtschaftsverwaltung in Griechenland unter deutscher Besatzung“ mit der Signatur R 27320 hat bereits zu einem kleinen Historikerstreit geführt.
In der „Berliner Zeitung“ schrieb der Historiker Götz Aly von „griechischen Schuldenlegenden“ - worauf Hagen Fleischer, der das deutsch-griechische Verhältnis seit langem erforscht, im gleichen Blatt erwiderte: „Die deutsche Schuld ist nicht beglichen.“
Vor allem führt das Dokument zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Athen und Berlin. Es geht um eine Anleihe, die die Nationalsozialisten dem besetzten Griechenland 1942 auferlegt haben, zur „Begleichung“ von Besatzungskosten. Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin sieht das Thema als erledigt an - denn sonst könnte eine ganz andere Debatte losbrechen.
„Da Kredite zurückgezahlt werden müssen und das Londoner Schuldenabkommen von 1953 diese Kategorie von Ansprüchen nicht eingeschränkt hat, kann es im Prinzip auch heute noch einen Rückzahlungsanspruch geben“, erklärt hingegen der Münchner Historiker Hans Günter Hockerts, der sich intensiv mit dem Thema Wiedergutmachung nach 1945 beschäftigt hat. Für den Forscher ist dies die derzeit aussichtsreichste Forderung Griechenlands.
Es geht um 476 Millionen Reichsmark - aber schon dieser Betrag ist umstritten. Aly verweist auf im Gegenzug erfolgte deutsche Lebensmitteleinfuhren und Gold zur Stützung der Drachme; deutsche Passiva und Aktiva seien nicht korrekt verbucht worden. Zudem verweisen Historiker auf eine desolate Archivierung in Athen.
Für Athen - aber auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi - wären das mit Zinsen heute rund elf Milliarden Euro, Hockerts geht eher von fünf Milliarden aus. Er schlägt zur Befriedung einen deutsch-griechischen Zukunftsfonds vor - ohne Forderungen aus dem Krieg anzuerkennen, könnte Deutschland sich erkenntlich zeigen. „So käme man vielleicht aus dem schrecklich verkrampften Verhältnis heraus, in dem man nur Rechnung und Gegenrechnung kennt.“
Die Debatte wirft ein Schlaglicht auf die grundlegende Frage, ob Deutschland seine finanzielle Schuld wirklich abgegolten hat. Das Thema „Zwangsanleihe“ ist ein Sonderfall - auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zweifelt an, ob der Fall wirklich finanziell als erledigt betrachtet werden kann.
Dahinter steht die viel größere Frage - die Athen auch aufwirft -, ob das Thema Reparationen abschließend geklärt ist. Rein formal hat Deutschland am 3. Oktober 2010 letzte Kriegsschulden getilgt - und damit für sich dieses Kapitel finanziell abgeschlossen.
Bereits lange vor dem Sieg der linken Syriza-Partei von Alexis Tsipras hatte Athen immer wieder versucht, den Spardruck der deutschen Kreditgeber mit unbezahlten historischen Rechnungen zu kontern. Merkel sagte dazu zum Beispiel im Juli 2013: „Wir schließen uns dieser Rechtsauffassung nicht an.“ Heißt: Alles erledigt, vor allem durch den 2+4-Vertrag zur deutschen Einheit. Zudem wurde mit Athen am 18. März 1960 ein Entschädigungsabkommen geschlossen: Es flossen damals aber nur 115 Millionen D-Mark.
Ist Merkels Rechtsauffassung korrekt? Der Bremer Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano findet die Argumentation „rechtlich untragbar“ und das Abblocken „beschämend“. „Da wird mit unerbittlicher Härte eine Schlussstrich-Politik verfolgt, weil ein Präzedenzfall befürchtet wird“, sagt er. Er sieht gerade in Sachen Anleihe bei einem Gang vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag Erfolgschancen.
Sein Göttinger Kollege Frank Schorkopf meint dagegen im „Spiegel“, alle Schuld sei abgegolten, Deutschland habe im Zuge der europäischen Integration zweistellige Milliardenbeträge an Athen gezahlt. „Diese Summe erreicht ohne weiteres die Höhe möglicher Reparationszahlungen.“ Für Fischer-Lescano ist das aber kein juristisches Argument, sondern „ein Stammtischargument“.
Die Frage von historischer Schuld und Wiedergutmachung ist eine komplexe - die SS verübte schlimme Massaker in Griechenland, etwa im Dorf Distomo 1944. 1946 hatte Griechenland nach Angaben des Historikers Hockerts knapp 14 Milliarden Dollar an Reparationen gefordert. Aber nach dem „Diktatfrieden“ von Versailles 1919 und für Deutschland kaum zu stemmenden Reparationsverpflichtungen, die den Aufstieg Adolf Hitlers begünstigten, wollten die Westmächte diesen Fehler nun nicht noch einmal wiederholen.
West-Deutschland wurde im aufziehenden Ost-West-Konflikt zudem als Partner gebraucht - im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurde daher ein Moratorium vereinbart, bis zu einer deutschen Friedenslösung. Artikel 5, Absatz 2 legte fest, eine Prüfung der durch den Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen werde bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt. Die Bundesrepublik brachte stattdessen individuelle Regelungen auf den Weg, als erstes bekam Israel drei Milliarden D-Mark.
Mit den westeuropäischen Ländern, darunter wie erwähnt 1960 auch Griechenland, schloss man sogenannte Globalabkommen. Damit wurden unter anderem Opfergruppen wie Juden finanziell entschädigt. Für Athen war damit die Frage von Reparationen keineswegs erledigt.
Im 2+4-Vertrag (BRD, DDR - Sowjetunion, USA, Großbritannien, Frankreich) wurde 1990 „die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vereinbart. Statt einer Prüfung der Ansprüche wurde auch das Thema Reparationen dabei für abgeschlossen erklärt. Im November 1990 nahmen Dutzende Staaten, auch Griechenland, in der KSZE-Charta von Paris den 2+4-Vertrag und damit die Reparationsregelung begrüßend „zur Kenntnis“ - aber die Charta war kein völkerrechtlicher Vertrag, Athens Forderung blieb virulent; doch es fehlten Mitstreiter für ein Aufrollen der Reparationsfrage.
Denn Kanzler Helmut Kohl (CDU) schloss nach der Einheit nun auch mit osteuropäischen Staaten Globalabkommen ab, es war die Zeit der großen Scheckbuch-Diplomatie. Das müsse am Ende für Griechenland nicht eine milliardenschwere Vollentschädigung sein, „aber eine Geste beispielsweise durch Einrichtung eines Fonds ist wichtig“, meint der Rechtsprofessor Fischer-Lescano. „Die Ungleichheit in der Entschädigungsfrage ist frappierend.“ Aber: Berlin müsste dann auch neue Forderungen anderer Länder fürchten.
Das TV-Magazin „frontal 21“ (ZDF) wies zuletzt noch einmal auf ein sehr wichtiges Dokument hin, das zeigt: Athen hat das Thema Reparationen nicht erst jetzt in der Euro-Krise entdeckt, wo man sich von Merkel gegängelt fühlt. In einer Verbalnote der Botschaft von 1995 an das Auswärtige Amt heißt es unter Punkt II: „Griechenland hat nicht auf seine Ansprüche auf Entschädigungen und Reparationen für während des Zweiten Weltkriegs erlittene Schäden verzichtet.“
Die Zeit sei reif für die Ausarbeitung einer für beide Seiten akzeptablen Lösung. Die Ansprüche gegen die andere Besatzungsmacht Italien seien bereits 1947 durch einen Friedensvertrag geregelt worden. „Die Ansprüche gegen Deutschland sind jedoch offen geblieben“. Das sind sie für Athen bis heute.