Tirol

Gekaufte Muskeln: „Sucht nach perfektem Körper ist groß“

Ein Muskelprotz nur durch hartes Training? Das kommt selten vor. Viele Fitnessstudiogänger greifen zu illegalen Hiflsmitteln.
© iStock

Jeder fünfte männliche Fitnessstudiogänger in Deutschland nimmt Mittel, die auf der Dopingliste stehen. Auch Tiroler Sportler pumpen ihre Muskeln illegal auf.

Von Miriam Hotter

Innsbruck –Bei Doping denken die meisten Menschen an den Spitzensport: Lance Armstrong, Johannes Dürr, Jan Ullrich – um nur ein paar Fälle zu nennen. Doch Medikamentenmissbrauch gibt es nicht nur in der Sportelite. Auch Freizeitsportler greifen in Fitnessstudios zu Pillen und Spritzen. Die Folgen können tödlich sein.

Rund eine halbe Million Österreicher besuchen regelmäßig ein Fitnessstudio. Wie viele davon Dopingmittel nehmen, weiß niemand genau. Es gibt aber Zahlen aus Deutschland: Sportwissenschafter Mischa Kläber schätzt in einer Studie, dass bis zu 20 Prozent der männlichen Freizeitsportler nachhelfen – also Mittel nehmen, die auf der Dopingliste stehen. Bei Frauen ist es jede Zwölfte. Der Konsum von leistungssteigernden Mitteln im Freizeitsport gilt offiziell aber nicht als Doping, sondern als Medikamentenmissbrauch.

Besonders beliebt sind anabole Steroide, wie Michael S. (Name von der Redaktion geändert) erklärt. Der Tiroler leitete bis vor wenigen Wochen ein Fitnessstudio und beobachtet einen gefährlichen Trend. „Die Sucht nach dem perfekten Körper ist so groß, dass viele zu anabolen Steroiden greifen.“

Anabole Steroide – kurz Anabolika – machen 97 Prozent des Medikamentenmissbrauchs bei Freizeitsportlern aus, die ihren Körper stählen wollen. Anabolika sind künstlich hergestellte Wirkstoffe, die in ihrer Struktur und Wirkungen dem männlichen Sexualhormon Testosteron sehr ähnlich sind.

Es gibt rund 50 Substanzen, die zu dieser Gruppe zählen. Die bekanntesten sind Testos­teron und Nandrolon. „Diese Mittel sind beliebt, weil sie für einen Muskelaufbau sorgen, den Training allein nicht möglich macht“, sagt S.

Laut Experten kann ein 70 Kilogramm schwerer Mann, der einen Monat lang Anabolika konsumiert und gleichzeitig trainiert, 15 Kilogramm an Muskelmasse zulegen.

Anabolika können gespritzt oder geschluckt, als Creme auf die Haut gerieben werden, auch als Pflaster sind sie erhältlich. Informationen wie diese finden Trainierende in „Das schwarze Buch“. In diesem Buch sind alle muskelaufbauenden Präparate, ihre Wirkung und ihre Einnahme beschrieben. „Eigentlich ist es ein Aufklärungsbuch, doch mittlerweile ist es eine Art Bibel für Bodybuilder geworden“, erzählt S.

Die Mittel können dann im Internet bestellt werden. Die Anbieter werben mit „höchster Qualität“ oder „schnelle Lieferung“. Nach drei Schritten ist alles getan: Anmeldung, Zahlungsart wählen, Bestellung absenden. Fertig.

Die Präparate sind billig. S. schätzt, dass ein Einsteiger im Monat mit rund 140 Euro auskommt. Es gibt aber auch Dealer in dieser Szene, genauso wie bei herkömmlichen Drogen. S. spricht von „mafiösen Zügen“. Denn auch hier ist die Gefahr von gestreckten Substanzen allgegenwärtig.

S. kennt viele Sportler, die ihre Muskeln künstlich aufpumpen. Daran hindern tut sie niemand. Verboten sind allein das „In-Verkehr-Bringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport“ und deren Anwendung „bei anderen“. Der Pumper im Fitnessstudio darf dopen, der Wettkampf-Gewichtheber darf es nicht.

Ein Tiroler, der ebenfalls Erfahrung mit Anabolika gemacht hat, erzählt: „Ich habe ein halbes Jahr lang dieses Zeug gespritzt. In kürzester Zeit nahm ich an Masse zu, die Regenerationszeit war kürzer und ich konnte härter trainieren.“ Um seinem Körper möglichst viele Kalorien zu liefern, holte er sich Nahrung für Unterernährte aus der Apotheke.

Doch nicht nur sein Körper veränderte sich – auch seine Psyche spielte verrückt. „Ich bekam extreme Stimmungsschwankungen.“ Außerdem steigerte sich seine Aggressivität. Er brach den Konsum ab.

Diesen Schritt schaffen nur die wenigsten, wie Sportmediziner Markus Wegscheider aus Zell am Ziller weiß. Man würde auf einen Blick erkennen, ob jemand Anabolika nimmt. „Die meisten haben einen eckigen Kopf und Akne im Gesicht, Brust oder Rücken.“ Außerdem bekommen manche Sportler so genannte Männerbrüste. Der Grund: überschüssiges Testosteron wird im Körper teilweise in das weibliche Sexualhormon Östrogen umgewandelt. Ebenso zählen Haarausfall, Verdickung der Herzmuskelwände und schrumpfende Hoden zu den Nebenwirkungen. „Außerdem kann es zu Leberkrebs kommen.“ Die Gefahr, daran zu sterben, ist groß.

Wegscheider hält es für ein enormes Risiko, Amateure einfach weiter dopen zu lassen. Auch wenn es bei Profi-Sportlern schärfere Kontrollen geben müsste – sie stehen zumindest unter ärztlicher Aufsicht. Die Amateure hingegen leben ungleich gefährlicher. Dabei stehen sie nicht einmal in einem Hochleistungswettbewerb – außer mit ihrem verzerrten Selbstbild.

Verwandte Themen