Ein Denkmal für die Retter sorgt für Debatten in Polen

Warschau (APA/dpa) - „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“, heißt es im Talmud. Die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel zu ve...

Warschau (APA/dpa) - „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“, heißt es im Talmud. Die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel zu vergeben hat, geht an Lebensretter, an die „Gerechten unter den Völkern“. Es sind Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs jüdische Mitbürger vor dem nationalsozialistischen Massenmord gerettet haben, oft unter hohem persönlichen Risiko.

In keinem anderen Land der Welt gibt es so viele „Gerechte“ wie in Polen, dem Land mit der vor dem Zweiten Weltkrieg größten jüdischen Bevölkerungsgruppe Europas - 3,5 Millionen Menschen, etwa 90 Prozent wurden in Ghettos und Todeslagern ermordet. Polen war das einzige Land, in dem die deutschen Besatzer das Verstecken von Juden mit der Todesstrafe bestraften.

Bisher wurden fast 6.500 Polen ausgezeichnet. Noch immer werden vom Institut Yad Vaschem in Jerusalem neue Namen von Gerechten ermittelt, auch wenn viele der Auszeichnungen 70 Jahre nach Kriegsende nur noch posthum vergeben werden können. Voraussichtlich Ende Oktober soll in Warschau ein sichtbares Zeichen gesetzt werden, um an die polnischen „Gerechten unter den Völkern“ zu erinnern.

In wenigen Wochen soll der endgültige Entwurf für das Denkmal „der Geretteten für die Retter“ vorgestellt werden, das auf eine Initiative des amerikanischen Geschäftsmann Zygmunt Rolat zurückgeht. Rolat ist selbst ein Holocaust-Überlebender aus Polen. „Dieses Denkmal ist überfällig“, sagt er.

Sowohl um das Denkmal selbst als auch um den Standort gab und gibt es in Polen und der jüdischen Gemeinschaft des Landes aber heftige Debatten. Kritiker fürchten, das Denkmal verfestige in der Gesellschaft das Bild der heldenmütigen Nation, die mehrheitlich Widerstand gegen die Deutschen geleistet habe, und lasse die Erinnerung an diejenigen verblassen, die verfolgte Juden erpressten, verrieten oder die gar selbst zu Tätern wurden.

Anderen geht das Projekt nicht weit genug. Es seien doch „Zehntausende“, ja vielleicht mindestens eine Million Polen gewesen, die Juden geholfen hätten, ist etwa der konservative Historiker Jan Zaryn überzeugt. Er gehört einer Initiative an, die am Warschauer Grzybowski-Platz ein eigenes Denkmal mit mindestens 10.000 Retter-Namen errichten will.

Mancher der Geretteten hat andere Erinnerungen. „Ich konnte aus dem Ghetto auf die „arische“ Seite entkommen“, sagt ein 86-jähriger Warschauer, der nicht namentlich genannt werden will. „Die meiste Angst hatten wir nicht vor den Deutschen - die waren weit weg. Die meiste Angst hatten wir vor den Polen, auch solchen Polen, die heute so tun, als hätten sie den Juden geholfen.“

Der Historiker Jan Grabowski erinnert an starke antisemitische Strömungen im Vorkriegspolen: „Es war ganz und gar nicht so, dass die Polen nur darauf gewartet haben, Juden zu retten. Wenn Hunderttausende oder gar eine Million Polen geholfen haben - wo sind dann all die geretteten Juden?“ Die „Gerechten“ hingegen hätten die eigenen Landsleute fürchten müssen. „Sie waren eine verzweifelte Minderheit. Sie waren die Ausnahme, nicht die Regel.“

Grabowski protestierte auch mit anderen Historikern gegen den Denkmal-Standort im Warschauer Stadtteil Muranow, in Sichtweite des Denkmals der Ghetto-Kämpfer, des neuen Museums zur tausendjährigen Geschichte der polnischen Juden. Hier brannte einst das Ghetto, hier kniete Willy Brandt. „Das war der Ort des Todes, nicht der Rettung“, sagt Grabowski.

Konstanty Gebert, Publizist und einer der bekanntesten Vertreter der jüdischen Gemeinde Polens, ist anderer Meinung. „Der Ort des Ghettos gehört zur jüdischen Geschichte von Leid und Tod. Aber die Rettung ist auch eine polnische Geschichte. In Muranow leben heute 30.000 Menschen, die keine Juden sind. Soll man denen Erinnerungsorte nehmen, bloß weil hier das Ghetto war?“

Gebert, für den die Retter „ein Beweis sind, dass Gott existiert“, gehörte von Anfang an zu den Befürwortern des Denkmals. „Man darf nicht vergessen“, betont er. „Nicht die Szmalcowniki (Polen, die Juden für Geld an die Gestapo verrieten) und nicht die Retter. Beides ist Teil der polnischen Geschichte.“