Zur Poesie gewordene Physik - „Das Prinzip“ von Jerme Ferrari

Berlin (APA/dpa) - Der französische Autor Jerome Ferrari schreibt in seinem neuen Roman „Das Prinzip“ empathisch über den Physiker Werner He...

Berlin (APA/dpa) - Der französische Autor Jerome Ferrari schreibt in seinem neuen Roman „Das Prinzip“ empathisch über den Physiker Werner Heisenberg. Er poetisiert dabei nicht nur sein Leben, sondern schafft es auch, Heisenbergs Unschärferelation mit Worten zu verzaubern.

Die Schönheit von Gleichungen muss sich einem nicht erschließen, um Ferraris Roman genießen zu können. Titelgebend ist eines der Grundprinzipien der Quantenmechanik, die Unschärferelation, die der Physiker Heisenberg 1927 entdeckte und mit denen er die Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaften empirisch nachwies. Der Erzähler scheitert in einer Prüfung zunächst an dem Prinzip, das das Buch durchzieht und das ihn Jahre später fasziniert.

Ins Zentrum des Romans rückt Ferrari Leben und Wirken des Wissenschaftlers, der 1932 mit dem Physik-Nobelpreis für die Begründung der Quantenmechanik ausgezeichnet wurde. Den Leser erwartet aber weder eine klassische Biografie noch ein Physikbuch. Indem Ferrari, der nicht nur Autor, sondern auch Philosophielehrer ist, seinen Erzähler in metaphorischer Sprache und direkter Anrede zu Heisenberg sprechen lässt, schafft er vielmehr ein dichtes poetisches Porträt des Physikgenies.

Schon der erste Satz ist von poetischer Kraft: „Dreiundzwanzig Jahre waren Sie alt, und hier, auf dieser trostlosen Insel, auf der keine einzige Blume blüht, war es Ihnen zum ersten Mal gegeben, Gott über die Schulter zu schauen.“ Wer empfänglich für diese lyrische Sprache ist, den wird das Buch in einen Sog ziehen. Sie entspricht der Unschärferelation und in gewisser Weise auch Heisenbergs Leben. Denn seine Stellung zum Nationalsozialismus ist von Unbestimmtheit und Widersprüchen gekennzeichnet.

Einerseits gerät Heisenberg (1901-1976), der kein NSDAP-Mitglied war, zunächst selbst ins Visier der Nationalsozialisten, weil er die Forschungsergebnisse jüdischer Wissenschafter verteidigt, andererseits leitet er ab 1939 das deutsche Uranprojekt, bei dem es zwar nicht konkret um die Atombombe, doch immerhin um die Entwicklung eines Atomreaktors ging. Fragend, nicht anklagend, nähert sich der 1968 in Paris geborene Ferrari dieser Zeit. Im Buch wird Heisenberg als realitätsfremder, naiver Forscher dargestellt, der die Amerikaner bei seiner Festnahme fragt: „Schauen Sie und sagen Sie mir, ich bitte Sie: Wie finden Sie unseren See und unsere Berge?“

Der mit Frankreichs renommiertestem Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausgezeichnete Autor bleibt in seinem siebenten Buch, dem vierten ins Deutsche übersetzte, seinen Themen treu: Wie in seinen vorherigen Romanen interessiert er sich in „Das Prinzip“ für das Scheitern und die Brüche im Leben. Angesichts der zeitgleichen Veröffentlichung des Romans in Frankreich und Deutschland und der inzwischen dreijährigen Zusammenarbeit der beiden unabhängigen Verlage Actes Sud und Secession Verlag für Literatur kann man von einem gelungenen deutsch-französischen Austausch sprechen.

In einem von der französischen Botschaft in Berlin organisierten Symposium Ende Februar gestand Ferrari, dass er Angst hatte, ein Buch „über ein so großes deutsches Schicksal zu schreiben“. Er wollte niemandem eine Lektion erteilen. Seine Sorgen waren unbegründet: Es ist ihm gelungen, Werner Heisenberg mit all seinen Widersprüchen sprachmächtig auf nur 130 Seiten zu porträtieren und seiner Physik einen Hauch Poesie zu verleihen.

(S E R V I C E - Jerome Ferrari: „Das Prinzip“, Secession Verlag für Literatur, Zürich, 130 Seiten, 20,60 Euro.)