Ein Engel namens Camillo
Vor drei Jahren kam Camillo auf die Welt, mit im Gepäck: das Down-Syndrom. Am Welt-Down-Syndrom-Tag erzählt die Mutter, warum sie ihn trotzdem bekommen hat.
Von Miriam Hotter
Aldrans –Valerie De Agostini und ihr Mann Luca haben gerade erfahren, dass ihr dritter Sohn mit dem Down-Syndrom auf die Welt kommen wird. Die Diagnose nach der Fruchtwasseruntersuchung steht fest – und jetzt? Die junge Mutter ist in der 20. Schwangerschaftswoche. Die Ärztin klärt sie über die Möglichkeiten auf, das Wort „Abtreibung“ fällt. Doch der gebürtige Italiener legt den Arm um seine Frau und sagt: „Das ist für uns keine Option.“
Das war vor drei Jahren. Mit seinem „Nein“ zum Schwangerschaftsabbruch stellt das Ehepaar aus Aldrans eine Ausnahme dar. Denn neun von zehn Kindern mit der Diagnose Down-Syndrom werden laut dem Verein Down-Syndrom Tirol abgetrieben.
„Es war natürlich ein Schock“, gibt die 39-Jährige zu. Es trifft also doch nicht immer nur die anderen. Valerie De Agostini und ihr Mann haben viel geweint, gezweifelt, gegrübelt. Doch dass sie das Kind behalten würden, stand nie zur Debatte. Auch nicht für den Rest der Familie. „Als wir meinen Schwiegereltern davon erzählten, haben sie nur genickt und gesagt: ,Wir sind bereit‘“, erinnert sich die Tirolerin. Auch ihre Eltern reagierten sehr positiv auf die Diagnose. „Meine Mutter meinte, dass sich diese Kinder ihre Eltern aussuchen.“ In Spanien, wo Valerie De Agostini und ihr Mann lange Zeit lebten, glaubt man, dass Kinder mit Down-Syndrom Engel sind, die von Gott geschickt werden. „Und das glaube ich auch“, sagt sie.
Die Zeit nach der Geburt war allerdings nicht einfach. Camillo litt an einem Herzfehler, eine häufige Komplikation bei Kindern mit Down-Syndrom. Der kleine Bub musste einen Monat lang auf der Intensivstation behandelt werden. Daheim warteten seine zwei Brüder Guilio und Leonardo auf das neue Familienmitglied. „Für mich war es wichtig, offen und ehrlich mit meinen Kindern zu sein. Als ich ihnen erklärt habe, was mit Camillo los ist, hatten sie natürlich viele Fragen“, sagt Valerie De Agostini. Hatten wir auch das Down-Syndrom bei der Geburt? Wird unser kleiner Bruder niemals sprechen oder gehen können? „Ich habe ihnen gesagt, dass Camillo alles lernen wird, nur eben etwas langsamer.“
Seine ersten Schritte machte Camillo mit zweieinhalb Jahren. Gerade fängt er an, einzelne Wörter zu sprechen. „Mit dem selbstständigen Essen klappt es inzwischen auch ganz gut“, erzählt seine Mutter. Am liebsten klimpert Camillo auf der Gitarre herum oder spielt mit seinen Geschwistern im Garten. Die Blicke von vorbeigehenden Spaziergängern machen der Mutter nichts aus. „Ich kann verstehen, dass sie neugierig sind.“ Außerdem legt sie keinen Wert auf die Meinung anderer. „Durch Camillo habe ich gelernt, andere Dinge zu schätzen. Ich bin stark geworden. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“
Deshalb hatte Valerie De Agostini auch keine Angst, als sie mit ihrem vierten Kind schwanger wurde. Manche Freunde dachten, es sei mutig, noch ein Kind zu bekommen. Es könnte ja wieder das Down-Syndrom haben. Valerie De Agostini ließ sich testen. Aber nicht, weil sie es im Fall „weggemacht“ hätte, sondern weil sie vorbereitet sein wollte. „Ich würde allen Eltern die Pränataldiagnostik empfehlen“, sagt sie. Damit würde man bei der Geburt eine Überraschung verhindern. Außerdem hätten Eltern dann bis zur Geburt Zeit, die Diagnose zu verarbeiten. Mittlerweile ist Tochter Flavia elf Monate alt. Und gesund.
Dass Camillo große Fortschritte macht, liegt laut De Agostini daran, dass er nie Abneigung gespürt hat. „Ein Kind kann sich nur gut entwickeln, wenn es geliebt wird. Völlig egal, ob es Down-Syndrom hat oder nicht.“