Reaktionen

Netanyahu-Wahlsieg: „Israel hat den Weg des Rassismus gewählt“

© EPA

Durch seinen Stimmenfang am rechten Rand hat sich Benjamin Netanyahu in seine vierte Amtszeit gerettet. Palästinenserführer werfen der israelischen Gesellschaft vor, „an Rassismus und der Besatzungspolitik erkrankt“ zu sein.

Jerusalem - Er wolle eine „starke und stabile Koalition“, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Mittwoch - eine Koalition, die er anführen wird. Netanyahu ist der ebenso strahlende wie unerwartete Sieger der Wahl in Israel. Entgegen aller Prognosen wurde seine Likud-Partei am Dienstag stärkste Kraft.

Die Wende gelang Netanyahu offenbar, weil er Wählerstimmen am rechten Rand abgeschöpft hatte. Nur einen Tag vor dem Votum sprach sich der 65-Jährige gegen einen Palästinenserstaat aus - obwohl er ihn zuvor bejaht hatte. Am Wahltag selbst warnte Netanyahu vor „Massen arabischer Wähler“ - und bewegte so offenbar viele jüdische Israelis dazu, doch noch für ihn zu stimmen.

Kritiker: Netanyahu ignoriert dringende Probleme

Schon während seiner dritten Amtszeit stilisierte sich der 65-Jährige als „Mr. Sicherheit“, warnte vor islamistischem Terror und einer atomaren Aufrüstung des Iran, um sich selbst als Schutzpatron Israels zu präsentieren. Für den Machterhalt ignoriere Netanyahu jedoch dringende Probleme Israels, sagen Kritiker und Opposition.

Anstatt den Konflikt mit den Palästinensern anzupacken, hoffe er, dass er sich irgendwie in Luft auflöse. Der forcierte Siedlungsbau im Westjordanland könne zudem ungewollt in einen binationalen jüdisch-palästinensischen Staat münden. Auch die hohen Lebenshaltungskosten und die Wohnungsnot, die vielen Israelis Sorgen bereiten, spielten in Netanyahus Wahlkampf kaum eine Rolle.

Palästinenserführer: Entscheidung gegen Verhandlungen

Die Palästinenserführung warf den israelischen Wählern vor, sich für „Weg des Rassismus, der Besatzung und des Siedlungsbaus“ statt für Verhandlungen entschieden zu haben, wie Yasser Abed Rabbo, ranghoher Beamter der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), am Tag nach der Wahl sagte. „Vor uns liegt ein langer und schwerer Weg des Kampfes gegen Israel“, sagte er.

Die Palästinenser müssten ihre Vorhaben deshalb vorantreiben, die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel zu beenden und Israel wegen des Siedlungsbaus und des Vorgehens im Gaza-Krieg 2014 vor den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu bringen.

„Schrittweise Annektierung“ statt Palästinenserstaat

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, sieht den Nahost-Friedensprozess nach der Wahl in Israel, aus der der bisherige konservative Regierungschef Benjamin Netanyahu als Sieger hervorging, in weite Ferne gerückt. „Er ist ideologisch motiviert, das bedeutet: kein Palästinenserstaat, sondern eine schrittweise Annektierung der palästinensischen Gebiete“, sagte Primor am Mittwoch dem Sender „Phoenix“ im Hinblick auf Netanyahu. „Dafür braucht er den Siedlungsbau.“ Mit der von Netanyahu angestrebten Koalition würden „echte, ehrliche Verhandlungen mit den Palästinensern“ unmöglich.

Teheran: „Uns ist das egal“

Der Iran misst dem Wahlsieg Netanyahus offiziell keine Bedeutung bei. „Uns ist das egal, da alle Parteien dort gleichermaßen an den Verbrechen gegen die Palästinenser beteiligt sind“, sagte Außenamtssprecherin Marzieh Afkham in Teheran.

Allerdings wäre es nach Einschätzung politischer Beobachter an Ort und Stelle für den Iran wegen der laufenden Atomverhandlungen mit den USA besser gewesen, wenn Netanyahu eine Niederlage erlitten hätte. Der israelische Premier versucht, Konzessionen des Westens an Teheran zur Beilegung des Atomkonflikts zu verhindern. In der Vergangenheit hatte Netanyahu sogar mit einem Präventivschlag gegen iranische Atomanlagen gedroht. (tt.com, APA/dpa)

------------------------------------

Pressestimmen zur Israel-Wahl

„The Times“ (London): „Jede israelische Regierung muss in diesem chaotischen Umfeld ihre Prioritäten klar setzen. Sie muss schauen, wo sie neue Verbündete finden könnte (...) und wo sie vernünftige Kompromisse schließen kann, um wichtigere Ziele zu erreichen. Ein vertrauensvolles Bündnis mit Ägypten und Jordanien zu erhalten, sollte einen hohen Stellenwert haben, genau so wie die Suche nach neuen Alliierten in der arabischen Welt. Wie viel internationale Unterstützung Israel dabei erwarten kann, einem Iran an der Schwelle zum Nuklearstaat zu trotzen, hängt zusammen mit Fortschritten im Friedensprozess. Der Ausbau von Siedlungen im Westjordanland wird dabei garantiert schaden.“

„Corriere della Sera“ (Mailand): „In Israel ist es schwer zu sagen, wer wirklich gewonnen hat. Zu viele Unterschiede, zu viel Widerrede, zu viel Gift und Misstrauen. Die letzten Schachzüge des bisherigen Premiers zeugen von internationaler politischer Isolation. Die Reaktion eines Teils der Gesellschaft, und nicht nur der Rechten, ist Gleichgültigkeit. Die jungen Leute denken an Arbeit und der Großteil weniger an den Friedensprozess. (...) Wer gedacht hat, sich von Netanyahu zu befreien, hat verloren. Alles in allem hat sich mit dieser Wahl nichts geändert.“

„La Republique des Pyrenees“ (Tarbes): „Auch wenn den israelischen Arabern zum ersten Mal die Einheit ihrer Parteien gelungen ist, was sie zur drittstärksten politischen Kraft des Landes macht, so war der Wahlkampf doch geprägt von einer Art Verweigerung der Frage des Friedens mit den Palästinensern. (...) Die israelische Öffentlichkeit hat sich auf ihre Ängste zurückgezogen und auf ein Gefühl der Gefahr angesichts der Radikalität der (palästinensischen) Hamas und der nuklearen iranischen Bedrohung (...). (Regierungschef Benjamin) Netanyahu hat dies schamlos zu weit getrieben, indem er ganz am Ende des Wahlkampfes sogar erklärt hat, dass es ‚nie‘ einen Palästinenserstaat geben werde.“

„La Presse de la Manche“ (Cherbourg): „Die Bürger Israels haben entschieden. Premierminister Benjamin Netanyahu hat am Ende die Wahl auf eine Art Referendum für oder gegen ihn reduziert. Da er das Gefühl hatte, dass ihm die Situation entgleitet, setzte er alles auf eine Karte, was gut auch die von Frieden oder Krieg sein könnte. In der Tat hat Netanyahu klar zum Ausdruck gebracht, dass er gegen die Einrichtung eines Palästinenserstaates ist. (...) All das ist ein gefährliches Spiel. Es läuft darauf hinaus, den Frieden abzulehnen...“

Verwandte Themen