Das Ende des Frühlings: Islamisten richten in Tunesien Blutbad an
Tunesien galt als Musterland des Arabischen Frühlings - nun hat ein blutiger Anschlag die einzige aus den Aufständen von 2011 erwachsene Demokratie erschüttert. Das Land trauert.
Von Marc Röhlig, dpa
Tunis – Am Anfang twittert die Parlamentsabgeordnete Sayida Ounissi von einer „großen Panik“ - ein Bewaffneter treibe sich vor dem Parlament herum. Nur wenige Minuten später wird klar, dass dies denAuftakt zum bislang schlimmsten Terrorangriff in Tunesien seit demArabischenFrühling bildet.
21 Tote, darunter 17 Touristen
Mindestens zwei Angreifer stürmen am Mittwoch den Platz zwischen dem Parlament und dem tunesischen Nationalmuseum Bardo. Die Extremisten schießen willkürlich mit Kalaschnikows auf Touristen, dann verbarrikadieren sie sich mit mehreren Geiseln im Bardo-Museum. AmEnde sind nach offiziellen Angaben 21 Menschen tot, darunter zwei Attentäter. 17 der Toten sind Urlauber. Unter den Opfern seien fünf Japaner, vier Italiener, zwei Kolumbianer, ein Franzose, ein Pole, ein Australier sowie ein Spanier, sagte Tunesiens Regierungschef Habib Essid am Abend im Fernsehen. Weitere 44 Menschen seien verletzt worden.
Die blutige Tat holt das Urlaubsland vier Jahre nach demArabischenFrühling in die Realität zurück. Tunesien ist das Geburtsland der Aufstände - und hatte als bislang einzigesLand denWeg in die Demokratie geschafft. Anfang 2011 stürzten die Tunesier denDiktator Zine el Abidine Ben Ali. ImDezember 2014 schloss die erste freie Präsidentenwahl den Demokratisierungsprozess imLand ab - anders als im Rest der Region.
In Syrien, Libyen undim Jemen toben Bürgerkriege, inÄgypten herrscht wieder ein despotischer Armeechef. Islamistische Gruppen nutzen das Chaos für ihre Zwecke. Nun zeigten die Extremisten mit einer Machtdemonstration, dass auch inTunesien mit ihnen zu rechnen ist.
Angriff erinnert an Bluttat in Paris
Das Muster des Angriffs erinnert an die Bluttat vonIslamisten im Januar inParis. Damals stürmten professionell trainierte Kämpfer hochbewaffnet dieRedaktion der Satire-Zeitschrift „CharlieHebdo“ - in Tunis kämpfen sich uniformierte Täter in das Bardo-Museum vor. Dort nehmen die Bewaffneten zahlreiche Urlauber als Geiseln. Die meisten der etwa 100 Besucher, die sich zum Zeitpunkt des Überfalls im Museum aufhielten, konnten jedoch nach Angaben des Innenministeriums rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Spezialeinheiten umstellen den Berichten zufolge zunächst das Gebäude und beenden die Geiselnahme danach.
Im Internet bejubeln Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat, offiziell bekennt sich die Miliz zunächst nicht zu demAngriff. Der IS kämpft inSyrien und imIrak, hat aber längst Zellen inÄgypten und im tunesischenNachbarn Libyen gegründet.Ein Anschlag imHerzen Tunesiens wäre ein neuer Machtzuwachs der Miliz.
Nach demEnde der Geiselnahme meldete sich dieAbgeordnete Ounissi erneut auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Wir sind ohne Angst“, schreibt Ounissi. Ein frommer Wunsch.