Netanyahus teuer erkaufter Sieg: Zwei-Staaten-Lösung geopfert
Tel Aviv/Jerusalem (APA/dpa) - Benjamin Netanyahu hat die Wahl gewonnen, aber um welchen Preis? Am Tag danach steht Israels alter und neuer ...
Tel Aviv/Jerusalem (APA/dpa) - Benjamin Netanyahu hat die Wahl gewonnen, aber um welchen Preis? Am Tag danach steht Israels alter und neuer Ministerpräsident vor einem politischen Scherbenhaufen. Praktisch hat er alle Brücken hinter sich abgebrochen und Israels engste Verbündete vor den Kopf gestoßen, nur um noch in letzter Minute seine rechte Wählerschaft zu mobilisieren und eine drohende Niederlage abzuwenden.
Erstmals seit einer versöhnlichen Rede 2009 ist Netanyahu vor der Wahl offiziell von der Idee eines unabhängigen Palästinenserstaates abgerückt. Arabische Israelis brandmarkte er faktisch als Feinde, indem er am Wahltag davor warnte, dass sie „in Massen“ zu den Wahllokalen strömten - um ihr demokratisches Grundrecht auszuüben. Zudem machte er sich typische Feindbilder der israelischen Rechten zunutze: Linksorientierte Organisationen und ausländische Regierungen würden die Araber in Israel gezielt mit Riesensummen unterstützen.
„Netanyahu musste die Zwei-Staaten-Lösung opfern, um zu gewinnen“, sagt der Politikexperte Hugh Lovatt von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. „Er hat seine Außenpolitik für einen kurzfristigen innenpolitischen Gewinn aufgegeben.“
Nach Ansicht der US-Politikwissenschaftlerin Lisa Goldman von der New America Foundation wird sich die US-Regierung mit einer neuen Netanyahu-Regierung kaum um eine Wiederbelebung der vor fast einem Jahr gescheiterten Friedensgespräche mit den Palästinensern bemühen. „Sie werden das Thema nicht angreifen. Ich denke, am Status quo wird sich nichts ändern“, sagte Goldman in Tel Aviv.
Den US-Präsidenten Barack Obama hat Netanyahu mit seiner umstrittenen Rede vor dem Kongress in Washington und seiner aggressiven Kampagne gegen eine Einigung im Atomstreit mit Teheran nachhaltig verprellt. Der Streit könnte im Falle eines Abkommens mit dem Iran noch weiter eskalieren.
Wenn der 65-jährige Chef der rechtsorientierten Likud-Partei wie geplant eine Koalition mit den rechten und strengreligiösen Parteien eingeht, ist mit einer weiteren internationalen Isolation Israels zu rechnen. Denn ohne gemäßigte Koalitionspartner wie Isaac (Yitzhak) Herzog und Tzipi Livni vom Mitte-Links-Bündnis fehlt Netanyahu das Feigenblatt.
Herzog sagte am Morgen nach der Wahl, seine Partei werde weiter eine „Alternative“ zum rechten Lager darstellen - das klingt nicht nach einem geplanten Einstieg in eine Große Koalition. Hagit Ofran von der Friedensorganisation Peace Now warnte, Israels Linke dürfe auf keinen Fall Teil einer „rassistischen Regierung“ werden. Sie müsse vielmehr „die große Enttäuschung nutzen, um ein starkes und kämpferisches Lager aufzubauen, das die Regierung ablösen und Israel neue Hoffnung bringen kann“. „Ab in die Opposition“, sagte Ofran.
Mit seiner vierten Amtszeit und seinem dritten Wahlsieg in Folge ist Netanyahu auf dem besten Weg, Israels am längsten dienender Ministerpräsident zu werden - David Ben Gurion war von 1949 an mit Unterbrechungen 13 Jahre im Amt. „Bibi“ hat schon neun Jahre geschafft. Sollte er sich gut vier Jahre im Sattel halten, hätte er sogar den legendären Staatsgründer überrundet.
Die israelische Politikexpertin Eatta Prince-Gibson rechnet mit der Bildung einer „nationalistischen und konfrontativen Regierung in Jerusalem“. Angesichts der Spaltung innerhalb der israelischen Gesellschaft und der vielen sozialen Probleme, die Netanyahu auf Dauer nicht ignorieren könne, erwarte sie jedoch nicht, dass er seine Amtszeit zu Ende bringen könne. „Ich glaube nicht, dass er eine Versöhnung mit Washington oder Europa schafft - vor allem jetzt, wo Netanyahu Nein zu einer Zwei-Staaten-Lösung sagt.“
Israelis der politischen Linken und der Mitte sehen Netanyahus Siegeszug mit Verzweiflung, die Palästinenser eher mit Resignation. Am 1. April treten die Palästinenser offiziell dem Internationalen Strafgerichtshof bei. Israelis müssen dann befürchten, wegen möglicher Kriegsverbrechen - etwa während des jüngsten Gaza-Kriegs oder wegen der Siedlungspolitik - juristisch belangt zu werden. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat sieht derzeit keine Chance für neue Friedensgespräche. Mit Netanyahus Regierung sei „sehr klar, dass es in Israel keinen Partner für den Friedensprozess gibt“.