Hungerleidende Seelöwenbabys an den Stränden von Kalifornien
Los Angeles (APA/dpa) - Als die Pfleger Anfang Jänner Winnie an einem Strand im Süden Kaliforniens fanden, war das Seelöwenbaby so abgemager...
Los Angeles (APA/dpa) - Als die Pfleger Anfang Jänner Winnie an einem Strand im Süden Kaliforniens fanden, war das Seelöwenbaby so abgemagert, dass man seine Rippen durch das Fell sah. Derart unterernährt und dehydriert, wog das Junge nur zehneinhalb Kilogramm - die Hälfte des Normalgewichts für sein Alter, wie die Tierpflegerin Kirsten Sedlick vom Pazifischen Zentrum für Meeressäuger in Laguna Beach erklärte.
Winnie war eines der ersten Tiere in einer wahren Flut ausgemergelter Seelöwenbabys, die seit Jahresbeginn an Kaliforniens Küste geschwemmt wurden. Mehr als 1.800 hungrige Junge lagen nach Angaben der nationalen Fischereibehörde in diesem Jahr schon an den Stränden des US-Bundesstaats - das sind 20 Mal so viele wie üblich. Schuld ist offenbar das Klimaphänomen El Nino. Seelöwen leben an Land, jagen aber im Meer nach Fischen wie Anchovis und Sardinen. Diese sind für die Raubtiere nicht nur Nahrung, sondern auch wichtigste Quelle für Flüssigkeit.
El Nino (Spanisch für „das Kind“) tritt unregelmäßig, aber oft gegen Jahresende auf und führt unter anderem dazu, dass der Pazifik vor der Westküste Südamerikas wärmer wird. Das lässt auch die Wassertemperaturen vor Kalifornien im Südwesten der USA steigen. Experten vermuten, dass dadurch die Fische in kältere Gewässer ziehen, weiter entfernt von jenen Orten, an denen die Seelöwen ihre Jungen zur Welt bringen und aufziehen. Die Seelöwenmütter folgen den Fischen - und entfernen sich so von ihren Jungen, die so manches Mal verloren zurückbleiben.
In den Auffangstationen gehen Anrufe besorgter Bürger ein, die an den Stränden auf die dürren, wie betäubt umherirrenden Jungtiere stoßen. Die nationale Behörde für Fischerei, die die Rettungsaktionen überwacht, bat die Öffentlichkeit nun um Geduld. „Die Realität ist, leider, dass wir nicht zu jedem einzelnen Tier gelangen können“, sagte Koordinator Justin Viezbicke in dieser Woche in einer Konferenzschaltung vor Journalisten.
Der Freizeitpark „SeaWorld“ in San Diego hat in den vergangenen Wochen sein Tierrettungspersonal verdoppelt. Dafür wurden eigens Tiertrainer aus den Parks in Texas und Florida eingeflogen. Seelöwen-Shows seien zeitweilig abgesagt worden, um mehr Helfer zu haben, sagte Sprecher Dave Koontz. Der Freizeitpark richtete Behelfs-Becken ein, um mehr als 300 gestrandete Seelöwen unterzubringen. Andere Tiere mussten weichen, um Platz zu schaffen.
Das Zentrum für Meeressäuger in Laguna Beach, 70 Kilometer südlich von Los Angeles, ist ausgelastet. Freiwillige Helfer arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten, um viermal am Tag 125 hungrige Seelöwenmäuler zu füttern. „Wenn sie mit einem Durchgang fertig sind, dann putzen, das Geschirr waschen und die Gehege reinigen, fangen sie wieder von vorne an“, sagte Mary Beth Steen vom Zentrum.
Das Rettungszentrum arbeitet inzwischen mit einer „Warteliste“: Die Menschen werden aufgefordert, Fotos der gestrandeten Tiere zu schicken. Anhand dieser bewerten die Tierschützer, in welcher Verfassung die Seelöwenjungen sind - und eilen zuerst zu jenen, die den bedrohtesten Eindruck machen.
Den Helfern zufolge gibt es eine gute Nachricht: Einmal aufgenommen, überleben 65 bis 75 Prozent der Jungtiere und können später wieder ausgewildert werden. „Sie sind hungrig“, sagte Steen. Wenn man sie füttere, bestehe Hoffnung. Zwei bis vier Monate Pflege seien nötig, bis die Seelöwen wieder kräftig genug sind, um allein zu überleben.
Nach neun Wochen in der Auffangstation hat Winnie sich sichtlich verändert: von einem Häuflein Haut und Knochen zu einem 30-Kilo-Seelöwen-Teenager mit glänzendem Fell. Winnie und drei andere Seelöwen wurden inzwischen am Strand von Crescent Bay in die Freiheit entlassen: Munter robbten sie in die Wellen.