Rumänien zahlt hohen Preis für Korruption
Bukarest (APA) - Rumänien lässt derzeit mit einer beispiellosen Serie von Korruptionsverfahren gegen prominente Politiker und Geschäftsleute...
Bukarest (APA) - Rumänien lässt derzeit mit einer beispiellosen Serie von Korruptionsverfahren gegen prominente Politiker und Geschäftsleute aufhorchen. Die Höhen der Bestechungssummen und Schäden für das Staatsbudget sind verblüffend.
Der gesamte materielle Nachteil in den von der Anti-Korruptions-Behörde DNA bearbeiteten Fällen belief sich 2014 auf knapp 400 Millionen Euro. Dabei bearbeitet die DNA allein jene Fälle, in denen die unlauteren Summen 10.000 Euro überschreiten.
Aus Kleinkorruption kommen, wie die Nachrichtenplattform „Hotnews“ unter Berufung auf Quellen aus dem Umfeld des Finanzamts berichtete, weitere 40 Prozent des bekannten Schmiergeldvolumens eines Jahres als Dunkelziffer hinzu. In Rumänien ist die Praxis der sogenannten „kleinen Aufmerksamkeit“ - das Kuvert beim Arzt, Geld- oder Sachgeschenke für Vorgesetzte, Lehrer, Professoren, Beamte oder gar den Schaffner zwecks einer Schwarzfahrt im Zug - relativ weitverbreitet. Laut „Hotnews“ erbringt jeder Schmiergeld-Euro den Tätern im Durchschnitt einen Gewinn von 20 Euro.
Im sogenannten Fall „Microsoft“, in dem die DNA gegen zahlreiche Ex-Minister, Geschäftsleute und deren Komplizen ermittelt, weil diese seit 2004 vom Staat überteuerte Computerlizenzen für Schulen kaufen ließen und sich mutmaßlich die Differenz gegenseitig als Schmiergeld zuspielten, beträgt der geschätzte Schaden beispielsweise 60 Mio. Euro. 90 Mio. Euro sollen im Fall um den Bukarester Bezirksbürgermeister Marian Vanghelie illegal geflossenen sein, weil er für die Begünstigung bestimmter Partner von diesen 20 Prozent des Vertragswerts einforderte. Der kürzlich vorgeladene Bürgermeister von Constanta, Radu Mazare, ist angeklagt, von Geschäftsleuten im Zuge eines ähnlichen Schemas 9 Mio. Euro erhalten zu haben. Im Fall um die illegale Rückerstattung riesiger Waldflächen konnte ein DNA-Verfahren einen Schaden von über 300 Mio. Euro verhindern. DNA-Leiterin Laura Kövesi nennt das Beispiel eines Verfahrens, in dem der Schaden auf 105 Mio. Euro geschätzt wurde und betont, dass dies dem Fünffachen des DNA-Jahresbudgets entspreche.
Jährlich werden in Rumänien Beschlagnahmungsbeschlüsse in einer Gesamthöhe von etwa 500 Mio. Euro verzeichnet, wie Cornel Calinescu, Leiter der Nationalbehörde für die Rückforderungen von Ansprüchen aus kriminellen Aktivitäten, bestätigt. Dabei werden die Schäden aus kriminellen Handlungen auf 1,5 Mrd. Euro jährlich geschätzt. Dass es dem Finanzamt nicht gelingt, mehr als 10 Prozent dieser Ansprüche tatsächlich einzuholen, bezeichnete Staatspräsident Klaus Johannis (Iohannis) als „inakzeptabel“: „Die Rückholung von Schäden ist, wie auch die Strafe selbst (...), verpflichtend und nicht optional. Sie stellt die Effizienz der Korruptionsbekämpfung unter Beweis und hat eine abschreckende Wirkung“, so Johannis. Würden die 310 Mio. Euro, die infolge von Gerichtsurteilen nach DNA-Verfahren im Jahr 2014 zu beschlagnahmen wären, tatsächlich eingezogen, würde dies das Jahresbudget für die Ärztegehälter landesweit abdecken, gibt Kövesi zu bedenken.
Dabei scheint keines der politischen Lager eine weiße Weste zu haben. Die Anklagen richten sich gegen Politiker der derzeit regierenden Sozialdemokraten (PSD), aber auch gegen Vertreter der bis 2012 regierenden Liberaldemokraten (PDL) und die letztes Jahr aus der Regierung ausgetretenen Liberalen (PNL). Im Fall „Microsoft“ wird beispielsweise gegen insgesamt zehn Minister ermittelt, die einander die mutmaßlich illegalen Verträge offenbar vererbt haben.
Drei neuere Entwicklungen machen Korruption für rumänische Politiker und Geschäftsleute aber immer weniger attraktiv: Erstens können aufgrund des 2012 in Kraft getretenen Beschlagnahmungsgesetzes illegal erworbene Vermögen nun auch wieder zurückgeholt werden, sogar von dazwischengeschalteten Verwandten und Bekannten. So ermittelt die DNA derzeit beispielsweise gegen den Schwager von Ministerpräsident Victor Ponta. Bisher nahmen es viele korrupte Personen offenbar in Kauf, dass sie mit einer vergleichsweise geringen Strafe für ein fabulöses Vermögen „bezahlten“. Die 2014 durch Gerichtsurteile verfügten Beschlagnahmungen betragen immerhin das Dreifache der Summe des Jahres davor.
Zweitens scheinen mittlerweile nicht nur die Antikorruptionsbehörde, sondern auch die Gerichte politische Unabhängigkeit erlangt zu haben; sie verhängen immer öfter auch gegen mächtige Politiker bis hin zu ehemaligen Regierungschefs Haftstrafen. 1.130 Fälle der DNA endeten 2014 mit Verurteilungen, nur 44 mit Freisprüchen. Ein Drittel der Verurteilten sitzt im Gefängnis. Die Zahl der Korruptions-Anklagen hat sich im Vorjahr gegenüber 2013 verdoppelt. Auch war 2014 das Jahr mit den meisten Ermittlungsanträgen gegen hochrangige Amtsträger - neun Parlamentarier und zwölf Minister und Ex-Minister, wobei dieser Trend 2015 anhält.
Drittens scheint es einen Schneeballeffekt bei Anzeigen und Enthüllungen zu geben, denn involvierten Personen, die zur Aufklärung beitragen, gesteht das Gesetz in vielen Fällen neben Straffreiheit auch die Rückholung von Schmiergeldsummen zu, und hinter Gittern sagen ehemalige Komplizen oftmals gegeneinander aus. Auch kamen aus der Bevölkerung, deren Vertrauen in die DNA mit 55 Prozent höher ist denn je, 2014 um 70 Prozent mehr Anzeigen als im Vorjahr. „In den letzten zehn Jahren haben sich nicht nur die Institutionen, sondern hat sich auch die Mentalität verändert. Das Gefühl der Machtlosigkeit, der stillschweigenden Hinnahme der kleinen und großen Korruption, ist verschwunden“, sagt Präsident Johannis.
Als problematisch betrachtet DNA-Sprecherin Livia Saplacan im APA-Interview demgegenüber, dass das Tätigkeitsvolumen der DNA sich seit der Gründung verdreifacht hat, die Anzahl der beschäftigten Staatsanwälte mit 86 jedoch konstant geblieben ist. Dies rechtfertige den Antrag der Institution auf 50 weitere Planstellen, um die Effizienz der Behörde weiterhin sicherzustellen, denn es seien derzeit rund 5.000 Fälle zu bearbeiten.
Jenseits des materiellen Schadens zahlt Rumänien den politischen Preis des schlechten Rufs, das es in diesem Bereich bei den europäischen Partnern genießt: So wird Rumänien beispielsweise trotz der Erfüllung aller technischer Bedingungen seit Jahren die Aufnahme in den Schengener Raum verwehrt - mit dem Argument, dass die Korruption noch nicht ausreichend unter Kontrolle sei.