Diagonale: Mia Hansen-Love holt Menschen aus dem Schatten ins Licht 1
Graz (APA) - Lebens- und Liebesgeschichten im Wandel der Zeit stehen im Fokus des viel beachteten Filmschaffens von Mia Hansen-Love. Mit bis...
Graz (APA) - Lebens- und Liebesgeschichten im Wandel der Zeit stehen im Fokus des viel beachteten Filmschaffens von Mia Hansen-Love. Mit bis dato vier Spielfilmen ist das Werk der 34-Jährigen noch relativ kompakt und nun im Rahmen eines ihr gewidmeten Spezialprogramms bei der Diagonale zu sehen, was die Französin „ein bisschen lächerlich“, aber vor allem „ermutigend“ findet, wie sie im APA-Gespräch erzählte.
Mit ihrem neuesten Film „Eden“, der morgen, Freitag, in Graz seine Österreichpremiere feiert, knüpft Hansen-Love nahtlos an ihre unaufgeregten Erzählungen über das Erwachsenwerden an. Standen in den in Cannes uraufgeführten Filmen „Un amour de jeunesse“ (2011) und „Le père de mes enfants“ (2009) sowie dem in Locarno ausgezeichneten „Tout est pardonné“ (2007) zumeist junge Frauen im Mittelpunkt, begleitet sie in „Eden“ über 20 Jahre lang den von Musik getriebenen, aber über weite Strecken erfolglosen DJ Paul (Felix de Givry) durch die Pariser House-Szene.
APA: Frau Hansen-Love, zu Wien haben Sie einen starken Bezug, nachdem Ihr Vater dort geboren und aufgewachsen ist. Ist auch Graz Ihnen vertraut?
Mia Hansen-Love: Nein, ich weiß nur, dass mein Großvater hier lange gelebt hat. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, weil er früh starb, deshalb war ich bisher nie hier.
APA: Was ist es für ein Gefühl, so früh in Ihrer Karriere mit einer Personale geehrt zu werden?
Hansen-Love: Einerseits komme ich mir schon ein bisschen lächerlich vor, vor allem gegenüber Freunden in Paris, die sich über mich lustig machen, wenn ich ihnen sage, dass ich zu einer Retrospektive über mich nach Graz fahre. Aber andererseits bin ich einfach nur glücklich, dass Leute meine Filme hier in ihrer Gesamtheit sehen. Die Lebensdauer von Filmen wird tendenziell immer kürzer, sie verschwinden sehr schnell wieder aus den Kinos. Man hat das Gefühl, sobald ein Film fertiggestellt und veröffentlicht wird, ist er schon wieder Vergangenheit. Ob das Spezialprogramm nun zu früh kommt, ist mir egal: Es gibt mir das Gefühl, dass meine Filme Wirklichkeit sind, und dass sie etwas bedeuten. Das macht Mut, weiter zu machen.
APA: Morgen wird Ihr neuester Film „Eden“ in Graz gezeigt - der erste, in dem Sie von Anfang bis Ende einen Mann begleiten. Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie sich in einen Mann oder eine Frau hineinversetzen?
Hansen-Love: Ich habe mir immer leicht damit getan, von einer Figur zur nächsten zu wandern, und es hat für mich nie einen Unterschied gemacht, ob ich mich als Frau in eine Frau oder in einen Mann einfühle. Auch wenn ich zugeben muss, dass meine Beziehung zu den Charakteren wohl nicht dieselbe ist: Ich liebe die Männer nicht so wie ich die Frauen liebe. Es ist ein anderer Ansatz, und auch die Erotik im Film verändert sich. Aber was Empathie und meine Verbindung zur Figur angeht, sehe ich keinen Unterschied.
APA: Zwei DJs, die es als Daft Punk zu Weltruhm gebracht haben, tauchen in „Eden“ immer wieder auf - im Fokus aber steht einer, der es eben nicht „geschafft“ hat. Was fasziniert Sie an dem Scheiternden?
Hansen-Love: Wenn ich mich dazu entscheide, einen Film über eine Figur zu drehen, dann deshalb, weil mich irgendwas zu ihr zieht, und ich die Notwendigkeit verspüre, von ihr zu erzählen. In meinen Filmen geht es auch um Menschen, die eher im Schatten stehen, und die es verdienen, ins Licht gerückt zu werden. Ich verspüre ein größeres Bedürfnis bei einem Menschen, der es vielleicht nicht zu Erfolg gebracht hat, aber voller Sensibilität, Talent und Idealismus steckt, als bei Menschen, die von der halben Welt vergöttert werden und von Titelseiten lachen. Ich liebe Daft Punk und ihre Musik, und ich bin mir sicher, dass ein Film über sie toll werden könnte, aber ich fühle mich nützlicher, wenn ich Zuseher auf Charaktere stoße, für die sie sich sonst nie interessieren würden. Ich glaube auch, dass Pauls Geschichte universaler ist: Sein Weg ist unklar, er führt nicht direkt von A nach B. Diese Ungewissheit ist etwas, mit der sich jeder identifizieren kann.
APA: Die Figur des Paul ist stark von Ihrem älteren Bruder Sven inspiriert, der in den 90er-Jahren als DJ begonnen hat. Wie stark war er am Entstehen des Films beteiligt?
Hansen-Love: Auch wenn ich anfangs nicht wusste, wohin ich mit diesem Film gehen würde, war mir früh klar, dass er sehr von meinem Bruder beeinflusst werden würde. Anfangs habe ich ihn nur nach seinen Erinnerungen gefragt, vor allem, was die ersten paar Jahre (ab 1992, Anm.) betrifft, da ich damals zu jung war, um die Szene so zu erleben wie später. Infolgedessen hat er mir vor allem bei Dialogen geholfen, vor allem unter den jungen Männern und wenn es um Musik ging. Das Schöne war, dass es ihn nie abgeschreckt hat, nicht zu wissen, welche Form mein Film annehmen würde: Ganz im Gegenteil, denn für ihn wäre es zu schmerzhaft gewesen, seine eigene Geschichte niederzuschreiben. So lag die Verantwortung für die Geschichte bei mir, was beruhigend für ihn war.
APA: Wie schwierig war es, die Rechte für sämtliche Songs zu bekommen?
Hansen-Love: Diese Frage hat die Produzenten im Vorfeld abgeschreckt, weil sie dachten, wir würden nie die Rechte bekommen, und wenn, dann würde es sehr teuer werden. Das hat es sehr schwer gemacht, den Film zu finanzieren. Ihre Budgetschätzung hat sich aber als total überzogen herausgestellt, denn die meisten der Künstler, die wir im Film hören, sind keine großen Stars, und sie wollten im Film sein, einfach weil es bisher keinen Spielfilm über ihre Musik, Garage House, gab. 99 Prozent von ihnen waren einverstanden mit der sehr geringen Pauschale, die wir ihnen zahlen konnten, auch Daft Punk.