Frankreichs Rechtsextreme vor Erfolg bei Departementswahlen
Paris (APA/AFP) - Michel Potelet seufzt. Viele Menschen seien enttäuscht von den großen Parteien, fühlten sich „im Stich gelassen, vielleich...
Paris (APA/AFP) - Michel Potelet seufzt. Viele Menschen seien enttäuscht von den großen Parteien, fühlten sich „im Stich gelassen, vielleicht sogar ein bisschen zurückgewiesen“, sagt der sozialistische Bürgermeister des nordfranzösischen Dorfes Ribemont. „Die letzte Rettung“ sähen viele in der rechtsextremen Front National (FN).
„Heute sagen das die Leute ganz offen“, konstatiert Potelet bitter. „Vor ein paar Jahren hat man sich noch versteckt.“ Die Hemmungen, rechtsextrem zu wählen, sind im von Wirtschaftskrise und Rekordarbeitslosigkeit geplagten Frankreich geschwunden. Bei den landesweiten Departementswahlen könnten am Sonntag sogar 30 Prozent der Wähler für die Rechtsextremen stimmen. Den Sozialisten von Staatschef Francois Hollande steht dagegen eine neue Schlappe bevor.
Ribemont befindet sich im Departement Aisne im Nordosten Frankreichs, eine trostlose Gegend, in der die Arbeitslosigkeit mit 15 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt. Bei den Europawahlen im vergangenen Mai - damals wurde die Front National erstmals in Frankreichs Geschichte stärkste Kraft - kamen die Rechtsextremen in Aisne mit 40 Prozent auf ihr bestes Ergebnis. Jetzt hofft die FN, hier die Mehrheit im Departementrat zu erringen.
Eigentlich geht es bei diesen Wahlen am 22. und 29. März um nicht allzuviel, der Einfluss der Departementräte ist begrenzt. Doch die Symbolwirkung ist gewaltig, es kündigen sich wahre Erschütterungen an. Wieder einmal könnte die Front National mit ihren einwanderungs- und europafeindlichen Parolen stärkste Kraft werden. Und wieder dürften die Sozialisten verheerende Wahlergebnisse erzielen, weniger als 20 Prozent sagen Meinungsforscher ihnen in der ersten Runde voraus.
Die 30 Prozent für die FN müssen allerdings relativiert werden. Es ist sehr gut möglich, dass die Rechtsextremen nach der entscheidenden zweiten Wahlrunde in keinem der 101 französischen Departements auf eine Mehrheit kommen, schon die Eroberung einer einzigen dieser Gebietskörperschaften würde die FN als Erfolg feiern.
Nichts zu relativieren geben wird es aber wohl für die Sozialisten und andere linke Parteien. Bisher haben sie in 61 Departements eine Mehrheit, könnten diese aber in 30 bis 40 dieser Gebietskörperschaften an das konservativ-bürgerliche Lager verlieren. Insbesondere die UMP von Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy dürfte von der Unbeliebtheit Hollandes und seiner Regierung profitieren.
In den Wahlkampf hatte sich Hollande höchstpersönlich eingeschaltet. Er wolle der FN Wähler „entreißen“, sagte der Staatschef. Besonders aber hat sich sein Premier Manuel Valls in den Wahlkampf gekniet. Unermüdlich zog er gegen die Rechtsextremen zu Felde, bezeichnete sie als Gefahr für Frankreich und warb für die Politik seiner Regierung.
Für den Premier ist das nicht ungefährlich. Er riskiert, für die sich anbahnende Wahlschlappe mitverantwortlich gemacht zu werden. Doch wenn Hollande, wie Beobachter vermuten, nach den Wahlen eine Regierungsumbildung vornimmt, dürfte Valls‘ Posten nicht wackeln; der Präsident braucht den unerschrockenen Premier für seinen Reformkurs. Vielmehr könnte Hollande versuchen, die Grünen wieder in die Regierung zu holen und so seine wackelige Parlaments-Mehrheit zu festigen.
FN-Chefin Marine Le Pen hält die Sozialisten indes schon für abgeschrieben. „Diese Departementswahlen können den Anfang des stillen Verschwindens der sozialistischen Partei bedeuten“, sagte sie unlängst. Ihre FN dagegen - in der Erfolgsspur: „In ein paar Monaten machen wir bei den Regionen weiter“ - die Regionalwahlen sind im Dezember - „und dann nehmen wir die Erstürmung des Elysee-Palasts und der Nationalversammlung in Angriff.“
In dem Dorf Ribemont denken die wenigsten an die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017, hier sind die Gedanken beim Urnengang am Sonntag. Aus ihrer Bereitschaft, die Rechtsextremen zu wählen, machen viele Bewohner keinen Hehl: „Warum nicht die FN? Das haben wir noch nicht ausprobiert.“