Graphic Novel „Vaterland“: Nina Bunjevacs „erweitertes Familienalbum“
Wien (APA) - Nina Bunjevac begnügt sich mit wenigen Worten und klaren Strichen, um in „Vaterland“ komplexe Sachverhalte zu veranschaulichen:...
Wien (APA) - Nina Bunjevac begnügt sich mit wenigen Worten und klaren Strichen, um in „Vaterland“ komplexe Sachverhalte zu veranschaulichen: Die serbisch-kanadische Comicautorin hat in ihrer Graphic Novel nicht nur die Geschichte Jugoslawiens, sondern vor allem jene ihres Vaters verarbeitet. Herausgekommen ist das eindringliche Porträt eines Mannes, zu dem sie „nicht wirklich eine emotionale Beziehung“ hatte.
1973 in Kanada geboren, flieht Bunjevac noch als Kleinkind mit ihrer Mutter und Schwester nach Jugoslawien zurück - weit weg von Vater Peter. Dieser hat sich in der Wahlheimat der Familie einer terroristischen Gruppe angeschlossen und verfolgt mit fanatischem Eifer seine antikommunistischen, nationalistischen Ziele. Das und seine Alkoholsucht werden für die Familie zum unerträglichen Alltag. Nur wenige Jahre später stirbt Peter Bunjevac durch eine vorzeitig ausgelöste Bombe.
Für Nina Bunjevac, die bereits in der Kurzgeschichte „August 1977“ die letzten drei Stunden im Leben ihres Vaters „aus symbolischer Sicht“ behandelt hat, war das Projekt „Vaterland“ auf persönlicher Ebene kein Problem. „Ich kann mich nicht an ihn erinnern“, erklärte sie im APA-Interview wenige Stunden vor einer Lesung in Wien. „Ich wusste nur nicht, wie meine Mutter reagieren würde. Aber sie hat mich sehr unterstützt. Ich erzählte ihr, dass ich einen sehr neutralen Zugang wählen würde, dass ich zeigen würde, was der Nationalismus mit unserer Familie angerichtet hat.“
Die Mutter war neben weiteren Verwandten auch eine zentrale Informationsquelle für die Künstlerin. „Einiges wusste ich natürlich schon, aber ich musste das alles noch verifizieren.“ Persönliches und Historisches vermengen sich in „Vaterland“, überlappen sich teils. Während im Mittelteil die Geschichte Jugoslawiens und des Balkans in nur wenigen Seiten zusammengefasst wird, lässt sich Bunjevac an anderen Stellen aber bewusst Zeit, um Details wirken zu lassen. „Ich wusste, dass ich westlichen Lesern einiges erklären muss. Deshalb nimmt der historische Aspekt so viel Raum ein. Außerdem nutzte ich diese Informationen, um die Lücken zu füllen.“
Die präzisen, gänzlich in schwarz-weiß gehaltenen Bilder werden somit gleichermaßen zum politischen Essay wie „erweiterten Familienalbum“, wie Bunjevac anmerkte. Sie hat dafür etliche Fotos aus ihrer Kindheit nachgezeichnet. „Das zu tun war wie eine Meditation. Man bemerkt die ganzen Details und Gesichtsausdrücke, die einem sonst nicht sofort auffallen. Ich mag das Gefühl, das diese alten Fotografien vermitteln. Hier begegnet man auch einer gewissen Nostalgie. Außerdem erzeugt es eine zusätzliche Perspektive: Man merkt sofort, welche Bilder nach Fotografien entstanden sind, und welche nicht.“
Den realitätsnahen Anspruch wahrt Bunjevac auch durch ihre sehr ruhige, dabei fokussierte Erzählweise. „Vaterland“ ist keinesfalls anklagend oder wütend, zeigt die ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien stattdessen von einem außenstehenden Standpunkt. „Ich wollte zeigen, wie dumm das ist und wie ähnlich sich die Leute doch eigentlich sind. Wenn überhaupt, dann ist mein Zugang passiv und friedlich. Ich wähle keine Seiten, außer jene des Friedens“, unterstrich die Künstlerin.
Dass das Medium Comic für solch ernste Themen gewählt wird, ist heutzutage keineswegs neu. Bunjevac selbst ist allerdings erst relativ spät zu dieser Ausdrucksform gelangt. „Ich habe Comics als Kind geliebt.“ In ihrer Studienzeit standen aber Grafikdesign und Malerei im Mittelpunkt. Erst vor knapp zehn Jahren begann sie dann mit den ersten Experimenten, wobei Kontakte zu den Comicszenen in Kroatien, Serbien und Slowenien sie in ihrem Vorhaben bestärkt haben. „Ich erkannte die erzählerischen Möglichkeiten.“ Zudem habe sie die Ablehnung jeglicher Ideologie und ihr Friedensaktivismus mit der Szene verbunden. „Ich wollte etwas beitragen.“
Die knapp 160 Seiten von „Vaterland“ sind diesbezüglich ein mehr als gelungenes Vorhaben - nicht zuletzt aufgrund der technischen Finesse der Zeichnerin. „Das Schöne daran ist: Man muss sich im Text nicht wiederholen“, strich sie die Vorteile des Mediums hervor. „Oft reichen die Gesichtsausdrücke völlig aus, was Zeit spart. Man kommt mit deutlich weniger Text aus, weil die Bilder so viel erzählen. Aber man muss aufpassen: Ich möchte den Lesern genügend Raum bieten, um sich eine eigene Meinung zu bilden.“
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - Nina Bunjevac: „Vaterland. Eine Familiengeschichte zwischen Jugoslawien und Kanada“, Avant Verlag, 156 S., 25,70 Euro; www.ninabunjevac.com)