Rezeptbetrügerei vor Todesstichen in der Reichenau
Verschiedene Ärzte und Apotheken dienten einem 44-Jährigen unwissentlich als Ersatzdrogenlieferanten.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck, Wien –Im November hatte ein 44-Jähriger in der Innsbrucker Reichenau den Hausmeister der Anlage erstochen. Die der TT vorliegende Blutuntersuchung des Geständigen durch die Gerichtsmedizin kann die Tat nun vielleicht miterklären. Hatte der Täter doch nicht nur rund ein Promille Blutalkohol, sondern auch Benzodiazepinwerte in lebensbedrohlicher Höhe aufgewiesen. Zusammen mit Alkohol wirken Beruhigungsmittel meist als gegenseitig verstärkender Cocktail, der nicht zum ersten Mal Unheil brachte. Die ungewöhnlichen Blutwerte erklärten sich nach Befragungen durch Verteidiger Markus Abwerzger: „ Mein Mandant hat zugestanden, dass er aufgrund seiner Abhängigkeit an Nachmittagen oft fünf bis sechs Ärzte aufgesucht hatte, die im Internet als Vertretungsärzte aufgeschienen waren. Bei denen ließ er sich jeweils ein konkretes Beruhigungsmittel als Notfallmedikament verschreiben. Mit den Rezepten ging der Patient dann zu verschiedenen Apotheken und löste sie allesamt ein.“ Das Dumme: Das genannte Medikament hat eine Verpackungsgröße von 100 Tabletten. Anwalt Abwerzger: „Das Bestürzende ist, dass mein Mandant beteuert, dabei nur selten Kontakt mit Ärzten gehabt zu haben und von Sprechstundenhilfen das Rezept sogar ohne Vorlage der E-Card erhalten haben will!“ Ein Rezeptmissbrauch, der gang und gäbe ist, wie die zu Tausenden am Schwarzmarkt angebotenen Drogen-Substitutionsmittel beweisen.
Ärzte, Apotheken und Krankenkassen fühlen sich gegenüber solchen Betrügereien weitgehend machtlos. So sieht laut Auskunft der Ärztekammer ein Arzt über die E-Card nur, bei welchem Hauptarzt ein Patient im laufenden Quartal betreut wird. Wird jedoch ein Vertretungsarzt konsultiert, scheinen dazu keine Hinweise auf. Auch über Verordnungen gibt es keinerlei Information für den aufgesuchten Arzt. Da würde nur eine Rücksprache mit dem zuständigen Arzt helfen.
Auch Martin Hochstöger, Präsident der Tiroler Apothekerkammer, sieht kaum Möglichkeiten, solchen Missbrauch hintanzuhalten: „Wir können bei einem ordnungsgemäßen Rezept nur auf Verdachtsfälle reagieren und dann Rücksprache halten.“ Ebenso kann die Gebietskrankenkasse nur auf Verdacht reagieren. Wie lange es dauert, bis Unregelmäßigkeiten auffallen, hänge von der Menge und Größe des Heilmittels ab.
Erst die Einführung von ELGA (elektronische Gesundheitsakte) könne solchen Missbrauch einbremsen, wie ELGA-Geschäftsführerin Susanne Helbek erklärt. 2017 soll ELGA bei den niedergelassenen Kassenärzten österreichweit eingeführt werden. Diese ersehen dann über die E-Card, welcher Arzt welches Medikament bereits verordnet hat. Wahlärzten steht die Teilnahme an ELGA jedoch frei – gleich, wie allen Patienten.