Pu(h), Harry Rowohlt - der Übersetzer und „Rezitator“ wird 70
Hamburg (APA/dpa) - „Hier kommen wir Hand in Hand, Christopher Robin und ich, um Dir dieses Buch auf den Schoß zu legen.“ Mit dieser Widmung...
Hamburg (APA/dpa) - „Hier kommen wir Hand in Hand, Christopher Robin und ich, um Dir dieses Buch auf den Schoß zu legen.“ Mit dieser Widmung beginnt die deutsche Ausgabe des Kinderbuch-Klassikers „Pu der Bär“. Auf dem Cover steht nicht nur der Name des Autors A.A. Milne, sondern auch der des Übersetzers: Harry Rowohlt. Der Hamburger hat sich einen einzigartigen Ruf als Übersetzer erschrieben. Am 27. März wird er 70.
Wer weniger in der Bücherwelt lebt und Übersetzungen wie die von Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ oder Flann O‘Briens „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“ nicht kennt, weiß dennoch mit einiger Wahrscheinlichkeit, wie Harry Rowohlt aussieht. Er spielt seit 20 Jahren den Penner Harry in der Lindenstraße. Die Mähne und der eindrucksvolle Bart sind seine Markenzeichen.
Harry Rowohlt ist kein Freund von gesellschaftlichen Konventionen. Gefeiert werde der 70. nicht, heißt es in seinem Umfeld. Auf solche Feiern habe er noch nie viel Wert gelegt. Interviews wolle er auch nicht geben. Passt.
Wer Harry Rowohlt blauäugig fragt, ob er etwas mit dem gleichnamigen Verlag zu tun hat, hat schlechte Karten. Früher musste der Frager sogar fünf Mark an eine gemeinnützige Organisation spenden.
Er erbte 49 Prozent des Verlags von seinem Vater Ernst Rowohlt, wollte aber nicht dort einsteigen. Sein Vater sei fünf Mal pleitegegangen. Er sei froh, nicht in den Verlag eingetreten zu sein, „denn diese Tradition hätte ich als erstes wiederbelebt“. Sein Bruder und er verkauften den Verlag Anfang der 1980er Jahre an die Holtzbrinck-Gruppe.
„Ich wurde in der Hochallee 1 in Hamburg 13 geboren. Im Luftschutzkeller, als Zehn-Monats-Kind“, erzählt Harry Rowohlt seinem Freund Ralf Sotschek im Buch „In Schlucken-zwei-Spechte“. Für die ersten zehn Jahre hieß er noch Harry Rupp. Damals war seine Mutter, die Schauspielerin Maria Pierenkämper, in „dritter und vorletzter Ehe“ mit dem Kunstmaler Max Rupp verheiratet. Vater war dennoch Ernst Rowohlt, wie Harry betont, da Rupp „zur fraglichen Zeit“ bereits in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war.
Sein erstes Buch war „Pu der Bär“, das ihm seine Mutter vorgelesen hat. Er habe sich dann entschlossen, selbst lesen zu lernen, um es „unbehelligt von der mütterlichen Betonung“ zu lesen, sagt Rowohlt. Seine brummige, bisweilen auch scharfe Stimme, ist auf zahlreichen Hörbüchern zu vernehmen.
Legendär sind auch Harry Rowohlts Lesungen. Nicht selten dauerten sie fünf Stunden oder mehr, der Verbrauch betrug dann schon mal eine Flasche irischen Whiskeys oder zwei Flaschen Wein. Vorbei: Irgendwann diagnostizierte der Arzt bei ihm Polyneuropathie, eine Nervenerkrankung. Alkohol ist seither tabu. Weil er aber seine „Ethanolkarenz“ damals so stramm durchgezogen hatte, habe ihm der Arzt erlaubt, sich viermal im Jahr die Kante zu geben.
Vor allem ist Harry Rowohlt aber für seine Übersetzungen bekannt und berühmt. Er hat nicht nur „Pu der Bär“ zu neuem Erfolg verholfen. Besonders haben es ihm die Iren angetan. Als Lieblingsautor nennt er oft Flann O‘Brien. Nicht zuletzt dafür wurde ihm der Titel „Ambassador of Irish Whiskey“ verliehen.
An die 200 Bücher hat Harry Rowohlt seit 1969 übersetzt. In der Szene wurde immer wieder über die Freiheit gestritten, die sich der eigenwillige Rowohlt beim Übersetzen nahm. Für solche Bedenken hat er nur Spott übrig.
„Harry Rowohlt war der erste Übersetzer, der auf dem Cover eines Buches erschienen ist“, sagt die Übersetzerin Ruth Keen. „Weil er so gut, so genial ist, hat er Freiheiten, die andere nicht haben. In einer Zeit, wo Übersetzer bestenfalls im Kleingedruckten genannt wurden, hat er überhaupt mal gezeigt, wie wichtig Übersetzer sind.“
„Harry Rowohlt ist eine singuläre Erscheinung, ein Solitär“, sagt Hinrich Schmidt-Henkel, Vorsitzender des Verbandes der Literaturübersetzer. Zahlreiche Auszeichnungen untermauern diese Urteile, darunter 2005 der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk als Übersetzer.
Seit 1995 spielt Harry Rowohlt den „Penner Harry“ in der Endlos-Serie „Lindenstraße“. Bislang war er in 193 Folgen zu sehen. „Harry Rowohlt ist eine Lichtgestalt“, sagt „Lindenstraßen“-Erfinder Hans W. Geißendörfer. „Er spielt den Penner und mit jedem seiner Auftritte veredelt und verzaubert er die „Lindenstraße“. Unser Penner Harry ist die einzige Figur, die es geschafft hat, als „Märchen“ in dem realistischen Alltag des „Lindenstraße“-Lebens sichtbar zu sein.“
Harry Rowohlt ist ein unerschöpflicher Quell an Anekdoten und Meister der Abschweifung. Viele davon hat er zwischen 1989 und 1997 in seiner „Zeit“-Kolumne „Pooh‘s Corner“ aufgeschrieben. Dabei hat ihm auch seine Lieblingstugend geholfen: „Sagen was man denkt. Und vorher was gedacht haben.“
(S E R V I C E - Harry Rowohlt: „In Schlucken-zwei-Spechte“, Edition Tiamat, 240 S., 15,40 Euro)