Weltpolitik

Großbritannien vor der Wahl: Das Zittern der Großen

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Weder die Tories noch Labour können am 7. Mai mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Die Schottischen Nationalisten könnten zum Königsmacher werden.

Von Christian Jentsch

London –Am 7. Mai wird in Großbritannien ein neues Parlament gewählt. Und eines scheint bereits heute klar zu sein: Es wird wohl keine Partei die absolute Mandatsmehrheit erreichen. In Umfragen liegen die konservativen Tories von Premierminister David Cameron knapp vor der sozialdemokratischen Labour von Oppositionsführer Ed Miliband. Für eine absolute Mehrheit im 650 Sitze zählenden Unterhaus wird es aber allen Prognosen zufolge nicht reichen.

Es wird also wohl wieder eine Koalition geschmiedet werden müssen. Sogar von einer Großen Koalition­ ist bereits die Rede – normalerweise ein Unwort in London. „Die hat es in Großbritannien nur in Kriegszeiten gegeben“, erklärt die britische Politologin Melanie Sully, Direktorin des in Wien ansässigen Instituts für Go-Covernance und frühere Gastprofessorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, gegenüber der Tiroler Tageszeitung.

Das geltenden relative Mehrheitswahlrecht – derjenige Kandidat zieht ins Unterhaus ein, der die einfache Mehrheit in seinem Wahlkreis erzielt, wobei die Stimmen der anderen Bewerber verloren gehen – hat ein Zweiparteiensystem gefestigt.

2010 kam es dann erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer Koalitionsregierung, weil weder die Konservativen noch Labour eine Mehrheit erringen konnten. Die Koalition aus Konservativen und Nick Cleggs Liberaldemokraten wurde freilich mit Argwohn beäugt.

Auch bei den kommenden Parlamentswahlen wird es zu keinem Sololauf einer der beiden großen Parteien kommen. Konservative und Labour brauchen einen Koalitions­partner oder einen Unterstützer einer Minderheitsregierung.

Laut Sully gelten rund 150 der insgesamt 650 Wahlkreise als besonders umkämpft – sozusagen als Art „swing states“.

Für die Liberaldemokraten als Juniorpartner der amtierenden Regierung von Premier Cameron scheint sich die Regierungsbeteiligung freilich nicht gerechnet zu haben. Ihnen droht bei den Wahlen am 7. Mai eine herbe Niederlage. Gescheitert sind sie bereits mit ihrem Versuch, das britische Mehrheitswahlrecht zu reformieren. In einem Volksentscheid wurde der Reform eine klare Absage erteilt. Die Liberaldemokraten werden an den Erfolg von 2010 nicht mehr anschließen können. Dafür könnte die Schottische Nationalpartei (SNP) diesmal eine entscheidende Rolle spielen. Trotz des verlorenen Referendums zur Unabhängigkeit Schottlands im September spüren sie nun überraschend wieder starken Rückenwind. „Sie könnten zum Königsmacher der neuen Regierung werden. Im Gegenzug werden sie versuchen, ihre Forderungen, etwa nach einer stärkeren Föderalisierung, durchzusetzen“, erklärt Sully, die ihnen bis zu 40 Mandate prophezeit. „Sie haben Schottland von Labour übernommen“, so Sully. Den Nationalisten ist die klare Mehrheit der schottischen Sitze jedenfalls sicher. Und die Schottische Nationalpartei könnte nach Sitzen laut Meinungsforschern zur drittstärksten politischen Kraft in Westminster werden. Labour will im Falle eines Siegs bei der Parlamentswahl aber nicht mit der Schottischen Nationalpartei koalieren. „Es wird keine SNP-Minister geben in jeder Regierung, die ich führe“, sagte Labour-Spitzenkandidat Ed Miliband Anfang dieser Woche. Die Konservativen hatten ihn zuvor eindringlich aufgefordert, einem Deal mit den Schottischen Nationalisten eine Absage zu erteilen.

Auch die britischen Rechtspopulisten von UKIP wollen künftig ein gewichtiges Wort in London mitreden. Sie fordern ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft noch in diesem Jahr – dann würden sie eine konservative Minderheitsregierung tolerieren. Regierungschef Cameron hat im Fall seiner Wiederwahl die Abstimmung bis spätestens 2017 angekündigt, in Gerüchten ist aber auch schon vom Jahr 2016 die Rede. Trotz einem wohl zweistelligen Stimmenanteil wird die europafeindliche UK Independence Party aber wohl nur eine Handvoll Sitze im Unterhaus gewinnen.

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