Diagonale - Bärental und darüber hinaus: Borgers‘ „Fang den Haider“

Graz/Wien (APA) - Nathalie Borgers‘ Timing könnte nicht besser sein: Während das Hypo-Milliardendesaster nun im lange geforderten Untersuchu...

Graz/Wien (APA) - Nathalie Borgers‘ Timing könnte nicht besser sein: Während das Hypo-Milliardendesaster nun im lange geforderten Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden soll, legt die belgische Dokumentarfilmemacherin eine sehr persönliche Aufarbeitung des Vermächtnisses Jörg Haiders vor. „Fang den Haider“ heißt ihre mit Skurrilitäten gespickte Doku, die am Donnerstagabend Premiere bei der Diagonale hatte.

Bereits 2002 hatte sich Borgers einem österreichischen Kuriosum gewidmet und mit „Kronenzeitung - Tag für Tag ein Boulevardstück“ einen kritischen Blick auf die auflagenstärkste Zeitung des Landes geworfen. Die Doku sorgte für viel Aufsehen - nicht zuletzt, weil sich der ORF gegen eine Ausstrahlung entschied. Ausschlaggebend für Borgers‘ Recherche war damals Jörg Haiders historischer Erfolg bei den Nationalratswahlen 1999, die seine FPÖ als Zweitplatzierte sah und die schwarz-blaue Koalition nach sich zog. Hans Dichand war damals bereits viele Jahre als „publizistischer Ziehvater“ des Bärentalers gesehen worden.

Wenige Jahre nach Haiders Unfalltod 2008 zieht es Borgers, die mittlerweile in Wien lebt, in die Wahlheimat des einstigen Kärntner Landeshauptmanns, um dem Mythos des schillernden Politikers auf den Grund zu gehen. „Ich möchte herausfinden, warum so viele Menschen solchen Verführern verfallen“, erläutert Borgers zu Filmbeginn ihre Motivation inmitten des allgemein zu spürenden Rechtsrucks in Europa, und steckt den Rahmen mit einem Zusammenschnitt von fremdenfeindlichen Tiraden Haiders inner- und außerhalb des Parlaments ab. Gespräche mit ehemaligen Wegbegleitern sowie Haider über all die Zeit treu gebliebenen Kärntnern sollen Aufschluss bringen und in Verbindung mit Archivmaterial ein Bild Haiders zeichnen.

Wie schon bei der „Krone“-Doku verhilft die vermeintliche Position als Außenstehende der Belgierin zu Begegnungen, die manch heimischem Journalisten in dieser Art nicht so leicht möglich wären: Ehemalige Mitglieder von Haiders „Buberlpartie“ wie Peter Westenthaler sowie langjährige Wegbegleiter wie Libyen-Co-Reisender Hubert Gorbach oder Ortstafel-Mitstreiter Gerhard Dörfler stellen sich ebenso der Kamera wie Nachfahren der Haider bereits früh unterstützenden deutsch-nationalen Kärntner Großbauern oder rechts gesinnte Besucher vom Ulrichsberg. Mit Ausnahme von Westenthaler, der die von der FPÖ initiierten Volksbegehren schelmisch grinsend als Beschäftigung für Haider in Wahlkampfpausen offenbart, bleiben die Aussagen freilich verhalten - und Haiders selbst ernannter „Lebensmensch“ Stefan Petzner weist Borgers Interviewanfrage mit der Ablehnung eines „linken Films“ ab.

Einfach sei es nicht gewesen, an die Kärntner heranzukommen, meinte Borgers im Publikumsgespräch im Anschluss an die Premiere. So drehten sich Gespräche mit Kärntnern selbst sowie mit Haiders Schwester Ursula Haubner oder auch seiner Mutter vor allem um den Menschen Jörg Haider, der immer auf den höchsten Berg kletterte, Apfelstrudel lieber ohne Rosinen aß, eigentlich Schauspieler werden wollte und ein derart gutes Gedächtnis hatte, dass er sich Gesichter kurzer Bekanntschaften über Jahre hinweg merken konnte. Die politische Gesinnung bleibt unerwähnt. „Er sah zuerst das Volk, und erst dann sich selbst“, sagt eine „alte Freundin“ Haiders, und spricht damit vielen Kärntnern aus dem Herzen.

Ob die Kärntner mittlerweile wegen Hypo-Desaster und drohender möglicher Insolvenz Kärntens anders über ihren „Landeshauptmann der Herzen“ denken, ist fraglich. Schon von Borgers thematisierte Skandale von Haiders kontroversem Asylantenheim auf der Saualm über Gaddafis angeblichen Billigsprit bis hin zur Errichtung des Wörthersee Stadions und anderen überzogenen Ausgaben haben an der Heldenmystifizierung nichts geändert. Ob Menschen anderswo gegen leere Versprechen besser gewappnet seien als in Kärnten, fragt Borgers am Schluss, und versöhnt sich damit ein wenig mit dem Volk, das in „Fang den Haider“ weniger gut wegkommt: „Ich fürchte nicht.“

Unbefangen ist Borgers freilich nicht, wie sie im Off-Kommentar mit Ablehnung gegenüber verhetzenden Aussagen sowie Andeutungen eines möglichen Doppellebens Haiders und engerer Beziehungen zu seinen „Buberln“ klar macht. Und „fangen“, wie der Titel suggeriert, lässt sich ihr Untersuchungsobjekt wahrlich auch nicht. So wirft Borgers im Lauf von 90 Minuten viele Fragen auf, ohne konkrete Antworten zu finden - und spielt mit manch Haider und Konsorten ins Lächerliche ziehenden Schnitten und ihrer Überlagerung von Gesprächen mit eigenen Gedanken möglicherweise erst recht den Bewahrern von Haiders Vermächtnis in die Hände. Die Lacher aber hatte sie bei der wohlwollend aufgenommenen Premiere in Graz auf ihrer Seite - und kompakter hat man das eigene Unverständnis mit Blick Richtung Kärnten noch nicht auf Leinwand gebannt gesehen.

(S E R V I C E - Weitere Vorführung morgen, Samstag, 21 Uhr, UCI Annenhof, in Anwesenheit der Filmemacherin. www.diagonale.at)