Rauris-Preisträgerin Karen Köhler: „Betrunken Raketen geangelt“
Rauris (APA) - Sie hat mit 2.000, höchstens 3.000 Lesern gerechnet, jetzt sind es mehr als 30.000 Menschen, die sich ein Exemplar des Erzähl...
Rauris (APA) - Sie hat mit 2.000, höchstens 3.000 Lesern gerechnet, jetzt sind es mehr als 30.000 Menschen, die sich ein Exemplar des Erzählbandes von „Wir haben Raketen geangelt“ (Hanser, 2014) gekauft haben. Die Autorin, die 40-jährige Hamburgerin Karen Köhler, hat dafür den Rauriser Literaturpreis 2015 bekommen und wird morgen, Samstag, daraus lesen. Heute hat sie der APA folgendes Interview gegeben.
APA: Frau Köhler, was soll man sich unter „Raketen angeln“ vorstellen?
Köhler: Naja, man nimmt Sylvesterraketen, befestigt eine Fischerleine mit Haken daran und zündet das Ding. Dann kann man sie aus der Luft herunterangeln. Das ist nicht ungefährlich, und ich gebe zu, dass wir dabei ziemlich betrunken waren.
APA: Das hat dem Erfolg aber nicht geschadet, ebenso wenig, wie ihre Windpocken-Erkrankung, die sie daran gehindert hat, den Text beim diesjährigen Bachmannpreis in Klagenfurt zu lesen.
Köhler: Ja, da war ich wirklich krank mit Fieber und 60 Windpocken-Pusteln am Körper. Ich hätte wahnsinnig gerne dort gelesen, aber weder der ORF noch die Behörde hat mich gelassen. Für das Buch selbst war das super. Besser hätte man es kaum erfinden könne. Ein Journalist der „TAZ“ hat mich sogar gefragt, ob die Windpocken überhaupt echt gewesen seien, da hab ich ihm die offizielle Bestätigung der Gesundheitsbehörde gezeigt.
APA: Die gleichnamige Erzählung selbst ist ja ganz kurz. Wer und was sind die Figuren in Ihrer Literatur noch außer betrunken und ein wenig leichtsinnig?
Köhler: Allen meinen Figuren - ob in „Cowboy und Indianer“, die übrigens gerade verfilmt werden, „Panorama, ein Männermärchen“ oder „Ramayana. Ein Heldenversuch“ - ist gemeinsam, dass sie an den Menschen und an die Liebe glauben. Allem Scheitern und allen Enttäuschungen zum Trotz.
APA: Frauen spielen in Ihrer Literatur immer wieder eine zentrale Rolle. Sind Sie eine feministische Autorin?
Köhler: Wenn man mir dieses Etikett umhängen will, trage ich es mit Würde. Frauen zu mehr Selbstbewusstsein zu ermutigen, ist mir sehr wichtig. Aber ich nehme mir Feminismus nicht vor. Mein zentrales Anliegen ist einfach menschliche Literatur schaffen.
APA: „Wir haben Raketen geangelt“ ist Ihre erste Prosa, alle anderen Werke sind Theaterstücke. Sie sind ja selbst auch ausgebildete Schauspielerin. Was ist der entscheidende Unterschied zwischen dem Schreiben für die Bühne und dem Schreiben für den Leser.
Köhler: Bei einem Theaterstück schaffe ich eine Modelliermasse, einen Textklumpen, der vom Regisseur und den Schauspielern verstanden und weiterentwickelt werden muss. In diesem Fall ist der Text nicht mehr als Aufforderung zur Fantasie jener Menschen, die meine Gedanken an das Publikum vermitteln müssen. In der Prosa ist niemand dazwischengestellt, da muss ich ohne die kreative Hilfe der Theaterleute ankommen.
APA: Was bedeutet der Rauriser Literaturpreis über das Preisgeld hinaus für Sie?
Köhler: Der Preis ist in Deutschland nicht so bekannt wie in Österreich, ich selbst kannte ihn gar nicht. Aber dann habe ich mir die lange Liste von Preisträgern angesehen und festgestellt, dass da fast ausschließlich Autoren darauf stehen, die heute fest etablierte Größen des Literaturbetriebes sind. Da ist es eine Ehre, mit diesen Schriftstellern in einem Atemzug genannt zu werden. Und natürlich, 8.000 Euro sind für mich sehr wertvoll, das Preisgeld gibt mir Zeit für meine Arbeit.
APA: Glauben Sie, dass Geld und Erfolg Ihre Texte noch besser machen?
Köhler: Als ich in Bern studiert habe, bildeten sich Eiskristalle an den Innenseiten meiner Festerscheiben. Ich hatte kein Geld zum Heizen. Da habe ich dann meine Eltern um Unterstützung gebeten. Heute sehe ich das romantisch, aber damals war es hart. Klar ist für mich, dass Literatur auch dann Arbeit ist, wenn man Menschen beobachtet, denkt, reflektiert und nicht nur dann, wenn man an der Maschine sitzt und Texte tippt. Das muss gesehen und wertgeschätzt werden. Wie man als Gesellschaft mit Kunst umgehen muss, die noch keine oder noch wenig Leser oder Publikum hat, ist eine sehr heikle Frage, die so einfach nicht zu beantworten ist.
APA: Ihre Pläne für die nächste Zukunft?
Köhler: Von Mitte April bis Ende Mai werde ich in Island mit einem Arbeitsstipendium leben. Dort möchte ich ausprobieren, ob meine Figuren, Ideen und Konzepte für einen Roman tragfähig genug sind.
(Das Gespräch führte Christoph Lindenbauer/APA)