Orient-Christen in Wien demonstrierten gegen Völkermord durch den IS

Wien (APA) - Die assyrischen, aramäischen und chaldäischen Christen Wiens haben am Samstag in einer Kundgebung auf die dramatische Lage ihre...

Wien (APA) - Die assyrischen, aramäischen und chaldäischen Christen Wiens haben am Samstag in einer Kundgebung auf die dramatische Lage ihres Volkes in Syrien und im Irak aufmerksam gemacht, dem durch den Islamisten-Terror die Auslöschung drohe. Rund 1000 Mitglieder der Kirchen der syrischen Tradition, an der Spitze ihre Geistlichen, zogen zum Parlament.

Hundert Jahre nach Beginn des Völkermordes im Osmanischen Reich verübe die Jihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) einen neuerlichen Genozid am Volk der „Suryoye“, so die Redner. Der syrisch-orthodoxe Bischof Emanuel Aydin übte scharfe Kritik an der Haltung des Westens und der IS-Kollaboration der Türkei.

Der Westen habe Öl ins Feuer gegossen, sich in Syrien eingemischt und Gruppen unterstützt, die den Christen die Bürgerrechte nehmen, beklagte Chorbischof Aydin. Jetzt aber wolle niemand Verantwortung übernehmen. „Wo ist der christliche Westen? Wo ist Obama? Wo ist die Presse? Wo ist die Stimme der Muslime, die gegen die Jihadisten auftreten?“ Aydin erinnerte daran, dass vor einem Jahrhundert die jungtürkische Regierung den Völkermord an den armenischen, syrischen und griechischen Christen entfachte, dem insgesamt bis zu drei Millionen Menschen zum Opfer gefallen seien. Die Türkei bekenne sich noch immer nicht zu ihrer Verantwortung. Laut Hinweisen aus der Opposition unterstütze die türkische Regierung den selbsternannten „Islamischen Staat“.

„Der Westen schaut zu“, konstatierte Aydin. „All dies geschieht im Namen Allahs. Was für ein Gott soll das sein?“ Zugleich würden „die Kulturgüter der Menschheit von den IS-Barbaren vernichtet“. Die Politik müsse endlich aufwachen. Wie auch die Repräsentanten des Aktionsbündnisses der „Assyrer, Aramäer, Chaldäer“ forderte der Chorepiskopos die Einrichtung einer autonomen Zone im Raum Mossul und in der Ninive-Ebene zum Schutz der Menschen und des Kulturerbes, sowie die Entsendung einer internationalen Delegation in das syrisch-irakische Krisengebiet. Zugleich appellierte Aydin an die österreichischen Autoritäten, christlichen Flüchtlingen aus diesen Nahost-Gebieten, die nicht in der Heimat bleiben können, Asyl zu gewähren.

Die Sprecherin des Aktionsbündnisses „Assyrer, Aramäer, Chaldäer“, Renya Matti, sprach von „religiösen Säuberungen“ durch die „islamischen Gotteskrieger“ und systematischen Völkermord an „einem der ältesten Völker der Welt“. Die Zerstörung des Weltkulturerbes in der Region richte sich gegen die ganze Menschheit. Die dortigen Christen würden nicht zuletzt „als Sündenböcke der westlichen Politik verfolgt“. Matti rief dazu auf, den IS-Verbrechen nicht mit „Schweigen und Untätigkeit“ zu begegnen. Sie erinnerte daran, dass die IS-Milizionäre im Vorjahr nur 24 Stunden brauchten, um mit Terrormethoden nach NS-Vorbild die Stadt Mossul „christenfrei“ zu machen. Humanitäre Soforthilfe sei für die vertriebenen oder zur Flucht gezwungenen Christen im Raum von Euphrat und Tigris dringend nötig.

Der katholische Weihbischof Franz Scharl betonte, der heutige Völkermord an den Christen der syrischen Tradition könne – anders als 1915 mitten im Chaos des Ersten Weltkriegs – nicht übersehen werden. „Man darf nicht wegschauen“. Der Wiener SPÖ-Landtagsabgeordnete Peter Florianschütz nannte den zweiten Völkermord an diesen Christen hundert Jahre nach dem Blutbad ab 1915 eine „Schande der Menschheitsgeschichte“. Österreich müsse sich rasch für eine Schutzzone für die verfolgten Christen im mesopotamischen Raum einsetzen. Der Vorsitzende der Österreich-Sektion der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO), Bezirksrat Aslan Ergen, erklärte, die Vorgänge in Mossul, in der Ninive-Ebene und am Khabour-Fluss liefen ab wie beim Genozid 1915, der im kollektiven Gedächtnis der Christen der syrischen Tradition tief verankert sei. Die IS-Terroristen wollten alle Spuren der Christen, Yeziden und anderer Minoritäten auslöschen.

Die Kundgebung stand unter dem Motto „Freiheit für Suryoye“. Laut Aydin ging es um drei Ziele: Solidarität mit den verfolgten Christen, Aufrütteln der Öffentlichkeit und Ermahnung der Politiker zum Handeln. In Sprechchören skandierten die Teilnehmer „Stoppt den Terror“, „Rettet die Christen“ und „Nieder mit dem IS“. „IS nimmt Christen die Würde, der Westen setzt keine Hürde“, „Tod und Gewalt, IS kennt keinen Halt. Genozid 1915 – 2015“ war auf Plakaten zu lesen. Auf einem Transparent wurde die Freilassung der beiden vor zwei Jahren entführten Metropoliten von Aleppo, Mar Gregorios Youhanna Ibrahim und Boulos Yazigi, gefordert. Die Kundgebung vor dem Parlament begann mit einer Schweigeminute für die Opfer des IS-Terrors und wurde mit einem Vaterunser auf Aramäisch, der Sprache Christi, beendet.

In den katholischen Kirchen Österreichs wird an diesem Sonntag für die verfolgten Christen gebetet. Die Bischöfe hatten bei ihrer Frühjahrsvollversammlung zur Solidarität mit den Orient-Christen aufgerufen. In ihrer Stellungnahme kritisierten sie laut Ökumenischer Stiftung Pro Oriente: „Vor den Augen der Weltöffentlichkeit geht das Morden weiter, gleichzeitig ein Versagen der Staatengemeinschaft, alle bedrohten Menschen gleich welcher Religionszugehörigkeit effektiv zu schützen.“ Zu Recht erwarteten nicht nur Christen von Österreich, der EU und der UNO Schutz, Hilfe und eine Friedenslösung.