Preljocajs Schneewittchen-Version in St. Pölten frenetisch bejubelt
St. Pölten (APA) - Mit seinem mutigen Versuch, aus dem „Schneewittchen“-Märchen der Gebrüder Grimm ein Ballett zu gestalten, ist dem französ...
St. Pölten (APA) - Mit seinem mutigen Versuch, aus dem „Schneewittchen“-Märchen der Gebrüder Grimm ein Ballett zu gestalten, ist dem französischen Choreografen Angelin Preljocaj ein veritabler Volltreffer geglückt. Die österreichische Erstaufführung von „Snow White“ wurde am Samstagabend im Festspielhaus St. Pölten mit frenetischem Applaus bejubelt.
Die internationale Koproduktion des aus Aix-en-Provence stammenden Ballets Preljocaj u.a. mit dem Staatsballett Berlin ist ein rekordverdächtiger Renner, deren Aufführungszahlen sich mittlerweile dem vierstelligen Bereich nähern. Eine Art von Thriller sei ihm vorgeschwebt, hatte Preljocaj im Einführungsgespräch mit Festspielhaus-Intendantin Brigitte Fürle erklärt. Das ist es auch geworden, mit knapp zwei Stunden Hochspannung, viel origineller Fantasie, Klugheit und Geschmack.
Die Kostüme hat Jean Paul Gaultier beigesteuert - nicht nur in seinem signifikanten Stil entworfen, sondern auch von ihm persönlich für jeden einzelnen Tänzer adaptiert, wie Preljocaj berichtete. Die Musik setzt sich aus sinfonischen Ausschnitten von Gustav Mahler und elektronischen Einschüben von 79 D zusammen - Filmatmosphäre sollte damit erzeugt werden. Die Rechnung ist aufgegangen, ohne im Geringsten jemals in Disney-Nähe zu geraten. Aufwendig ist auch das opulente Bühnenbild von Thierry Leproust mit Felsenwand und Riesenspiegel.
Es beginnt mit einem Knall und einer Sterbeszene: Schneewittchens leibliche Mutter segnet das Zeitliche. Das ist kein leichter Einstieg, und doch ist man von Anfang an gefesselt, denn nichts ist an diesem Abend rührselig, kitschig oder betulich, alles ist stimmig, aufregend und virtuos getanzt. Besonders bewundernswert, wie Schneewittchen (Virgine Caussin) als Vergiftete in den Armen des Prinzen (Fabrizio Clemente) scheinbar schlapp einen Pax de deux hinlegt, furios die böse Königin (Cecilia Torres Morillo) mit ihren zwei schwarzen Teufelskatzen, die zwischendurch in den Zuschauerreihen umherturnen und manchem Besucher die Haartracht zerzausen.
Der absolute Hingucker sind aber die kuriosen sieben Zwerge, die sich aus ihren Felsenhöhlen an Seilen zu Boden lassen wie Spinnentiere und für alpinistische Choreografie sorgen. Wie er auf diese Idee gekommen sei, wurde Preljocaj gefragt und meinte, es sei eben langweilig, wenn die Mitwirkenden immer von der Seite her auftreten. Das ist geradezu Understatement und doch bezeichnend: Es geht um neue Sichtweisen und Sichtbarmachung von Zusammenhängen. Dafür braucht es neben den Brüdern Grimm auch Bruno Bettelheim und die These vom Schneewittchen-Komplex im Hintergrund. „Snow White“ zählt mit Sicherheit zu den hochkarätigsten Abenden, die man im Festspielhaus je erleben durfte.
(S E R V I C E - „Ballet Preljocaj - Snow White“; Mit u.a. Virgine Caussin, Fabrizio Clemente, Cecilia Torres Morillo; Noch eine Vorstellung heute, Sonntag, 16.00 Uhr im Festspielhaus St. Pölten. www.festspielhaus.at; www.preljocaj.org)