Al-Kaida und der IS ringen um Vorherrschaft im Jemen

Sanaa (APA/AFP) - Der Jemen steht am Rande eines konfessionell geprägten Bürgerkriegs. Sunnitische Extremisten kämpfen gegen schiitische Hou...

Sanaa (APA/AFP) - Der Jemen steht am Rande eines konfessionell geprägten Bürgerkriegs. Sunnitische Extremisten kämpfen gegen schiitische Houthi-Rebellen. Ein aus der Hauptstadt vertriebener Präsident kann den Zusammenhalt der Nation nicht mehr garantieren, die de facto in einen von den Houthi kontrollierten Nordwesten und einen von regierungstreuen Kräften beherrschten Südwesten geteilt ist.

Und die Extremistenorganisationen Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und „Islamischer Staat“ (IS) kämpfen blutig um die Vorherrschaft in dem arabischen Land.

Mit den schlimmsten Attentaten, die die Hauptstadt Sanaa bisher erlebte, betrat am Freitag der IS die Bühne im Jemen. Bisher galt der südliche Nachbar Saudi-Arabiens als Hochburg des Al-Kaida-Ablegers AQAP. Doch die Selbstmordanschläge auf zwei Moscheen mit mehr als 140 Toten und über 350 Verletzten dürften die Machtverhältnisse in dem kleinen Land weiter verändern.

Al-Kaida hatte zuletzt stark an Strahlkraft eingebüßt. „Seit die Houthi-Milizen die Kontrolle über die Hauptstadt und einen guten Teil des Landes übernommen haben, hat Al-Kaida an Glaubwürdigkeit verloren“, sagt Mathieu Guidere, Islamwissenschafter an der Universität Toulouse.

Diese Schwäche versucht der IS auszunützen: Mit den Anschlägen in Sanaa habe die Miliz der „jihadistischen Basis“ nun ihre Fähigkeiten demonstriert, den „ketzerischen Feind“ mit noch mehr Gewalt zu treffen als AQAP, sagt Jean-Pierre Filiu, Wissenschafter an der Hochschule für internationale Beziehungen in Paris.

Bisher war der IS im Jemen quasi unsichtbar. Hinweise auf ein Erstarken der Miliz mehren sich seit vergangenem Oktober: Damals überraschte AQAP mit einem Aufruf, den IS im Kampf gegen die „Kreuzritter“ zu unterstützen. Experten sahen darin Zeichen von Zwistigkeiten in der Al-Kaida-Führung, denn seit dem Bruch mit dem IS unter seinem Anführer Abu Bakr al-Baghdadi in Syrien und im Irak liegen die beiden Organisationen in einem „Wettstreit“ um die jihadistische Führerschaft.

Nach dem Appell wechselten immer mehr Anhänger die Seiten, im Februar dann schworen die ehemals Al-Kaida verpflichteten Kämpfer der Regionen Dhamar und Sanaa al-Baghdadi die Treue. Für den IS gehe es um die „Vorherrschaft“ über AQAP und die „erste Generation von Jihadisten“, sagt Experte Filiu. Guidere warnt angesichts der ethnischen Spaltungen und der innersunnitischen Machtkämpfe vor einer „Situation wie in Syrien oder dem Irak mit einem Bürgerkrieg konfessioneller Art“ zwischen Sunniten und Schiiten, die ein Drittel der Bevölkerung stellen.

Für den IS sind Schiiten, obgleich auch Muslime, Ungläubige. Während die ebenfalls sunnitische AQAP die Anschläge auf die Moscheen in Sanaa verurteilte, weil die Organisation keine „Unschuldigen“ töten wolle, brüstete sich der IS in seiner Bekennerbotschaft damit, das Blutbad sei nur die „Spitze des Eisbergs“ gewesen. Wie in Syrien und dem Irak rechtfertige der IS sein blutrünstiges Vorgehen auch gegen Muslime damit, die „Sunniten gegen die schiitische und ausländische Aggression“ zu verteidigen, sagt Guidere; das finde jetzt auch im Jemen statt.

Zudem habe der IS nie einen Hehl daraus gemacht, sein selbst erklärtes „Kalifat“ auch auf arabisches Gebiet ausdehnen zu wollen, „und der Jemen ist das Ziel der Wahl, denn er wird als Wiege der Araber angesehen“, sagt Guidere. Damit verfolge die Organisation ihre langfristige Strategie weiter, das sunnitische Saudi-Arabien zu umzingeln.

Expertenkollege Filiu geht noch weiter: Der IS werde schon in wenigen Wochen seine Fähigkeit zu demonstrieren versuchen, eine „breite Expansionsbewegung zu koordinieren, zuerst in Libyen, dann in Tunesien, schließlich im Jemen - nicht zu vergessen den Anschluss der Boko Haram“ in Nigeria. „Meine Vorahnung ist, dass diese von einer spürbaren Beschleunigung geprägte (Ausdehnungs-)Bewegung das Vorspiel einer Wiederaufnahme der Terrorkampagne auf dem europäischen Kontinent ist“, warnt Filiu.