Schau weg und sing, Elektra!
Nina Stemme wurde an der Wiener Staatsoper für ihre erste Elektra stürmisch gefeiert. In einer Neuproduktion, die vor allem musikalisch begeistert.
Von Stefan Musil
Wien –Wenn etwas diese Premiere der „Elektra“ von Richard Strauss rechtfertigt, dann wohl vor allem das Debüt von Nina Stemme in der Titelpartie. Warum die stimmige Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahr 1989 unbedingt ersetzt werden musste, bleibt eher ein Rätsel. Da gäbe es viel anderes im Wiener Repertoire, das sich für eine Erneuerung anbieten würde. Angeblich handelte es sich dabei noch um einen Wunsch des geschiedenen Generalmusikdirektors, der jetzt also auch ohne ihn erfüllt wurde.
Zumindest musikalisch macht der Abend jedoch großen Sinn. Denn mit Nina Stemme hat sich die Hochdramatische unserer Tage dafür erstmals die gewaltige Partie der Atridentochter erarbeitet, die in den Hof von Mykene verbannt, auf Rache für die Ermordung ihres Vaters Agamemnon sinnt. Am Ende des Abends sonnte sich die schwedische Sopranistin im frenetischen Jubel des Publikums. Zu Recht, denn so singt ihr das momentan keine Kollegin nach. Mit diesem Debüt setzt sie Maßstäbe, die nicht nur für heute gelten. Strahlende Höhen, die sich mühelos über die Orchesterwogen hinwegsetzen, aber auch zarte Feinzeichnung, leise Töne gelingen Nina Stemme zu einer weit über die reine Bewältigung der sängerischen Ansprüche hinausgehenden Rollengestaltung. Es war eine überwältigende Erstbegegnung, die sogar noch Potenzial nach oben verspricht.
An zweiter Stelle überraschte die kurzfristig eingesprungene Ricarda Merbeth als sich nach Frieden und Eheglück sehnende Schwester Chrysothemis. Die in Wien bestens bekannte Sängerin präsentierte sich mit leuchtend kraftvollem Sopran und überraschte mit einer Intensität in der Gestaltung, die man bisher so von ihr hier kaum erlebt hat. Falk Struckmann gab dem Orest die dunkel-kernige Kraft seines Baritons, während Anna Larsson als Klytämnestra mit eher stumpfem und wenig textdeutlichem Mezzosopran das Niveau ihrer Kollegen nicht erreichen konnte. Norbert Ernst gab dem schwächlichen Aegisth das passende Profil und auch die vielen Bediensteten waren allesamt überzeugend besetzt.
Statt Welser-Möst waltete der junge Finne Mikko Franck im Orchestergraben und begeisterte gemeinsam mit dem prachtvoll aufspielenden Orchester: Herrlich wurden die vielen Details der dunkel brodelnden Partitur herausgeleuchtet, wobei der Spannungsbogen nie abriss. Auch die vielen machtvollen Momente ließ er süffig auskosten, ohne dabei die Sänger in Bedrängnis zu bringen. Warum Franck dafür ein paar Buhrufe am Ende einstecken musste, bleibt völlig unverständlich.
Verständlicher dagegen der Unmut über das Leading-Team. Dem Regisseur Uwe Eric Laufenberg gelang nicht mehr als eine solide Interpretation, die noch dazu die zentralen Spannungsmomente weitgehend verschenkte. Er übersiedelt das Stück in einen Kohlenkeller und in das Umfeld eines faschistischen Regimes. In ein wieder einmal wenig inspiriertes Bühnenbild hat Rolf Glittenberg einen Paternoster eingebaut, der als Verbindung zwischen Elektras dunkler Rachewelt und dem Palast fungiert. Er bleibt nicht viel mehr als dekoratives Beiwerk, wenn etwa am Ende lauter Leichen als Albtraumbilder Elektras auf- und abfahren. Genauso wie Laufenberg das Schlussbild recht dümmlich vergagte, in dem er auf Elektras „Schweig, und tanze. Alle müssen herbei!“ einen Trupp Jugendlicher zum heiteren Gruppentanzen die Bühne stürmen lässt.