Wehrpflicht und Bürgerwehren - Suche nach neuer Stärke im Osten
Warschau/Prag/Riga (APA/dpa) - Krzysztof Nowak ist Student, kein Soldat - aber das sieht man dem 22-Jährigen auf den ersten Blick nicht an. ...
Warschau/Prag/Riga (APA/dpa) - Krzysztof Nowak ist Student, kein Soldat - aber das sieht man dem 22-Jährigen auf den ersten Blick nicht an. Uniform mit polnischem Hoheitsabzeichen, blank geputzte Kampfstiefel, Kurzhaarschnitt - der Hobbysoldat eines polnischen Schützenverbandes könnte leicht mit einem Armeemitglied verwechselt werden.
Sein Urgroßvater war in der Widerstandsbewegung gegen die Deutschen, erzählt Nowak stolz. „Patriotismus liegt bei uns in der Familie. Wenn die Heimat in Gefahr ist, dann muss man sie schützen.“
Mit dieser Haltung steht Nowak nicht allein, seit im Nachbarland Ukraine gekämpft wird, seit die Krim von Russland annektiert wurde. Nach einer vor kurzem veröffentlichten Studie würden sich fast 30 Prozent der Polen beim Militär oder paramilitärischen Gruppen zum Kampf melden, sollte ihre Heimat angegriffen werden.
Besonders verbreitet ist diese Haltung unter jungen Männern zwischen 18 und 24 Jahren, umso mehr, wenn sie gebildet sind, gute Geschichtskenntnisse und bereits in der Familiengeschichte Vorbilder aus dem bewaffneten Kampf haben. Auch die Zustimmung für die Wehrpflicht steigt, derzeit sind 60 Prozent der Polen für ihre Wiedereinführung.
„Seit dem Konflikt in der Ukraine beobachten wir eine völlige Umkehr der bisherigen Stimmung“, sagt Marcin Duma, einer der Verfasser der Untersuchung. Für 83 Prozent ist Russland die größte potenzielle Bedrohung für ihr Land. Die sogenannten Verteidigungsinitiativen gewinnen Zulauf - Schützenverbände, Bürgerwehren, Organisationen zur Landesverteidigung mit „Freizeitkriegern“ wie Nowak, die am Wochenende oder in den Ferien Schieß- und Kampfübungen machen.
„Das ist ein Potenzial, das wir nutzen müssen“, sagt General Boguslaw Pacek, im November aus dem Ruhestand zurück geholt, um als Beauftragter für Verteidigungsinitiativen die Hobbysoldaten in die Landesverteidigung einzubinden. Gemeinsame Schulungen mit Reservisten seien denkbar, die Nutzung militärischer Übungsgelände, der Aufbau einer regionalen Verteidigungsstruktur, in der Berufssoldaten und zivile Gruppen zusammenarbeiten, sagte Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak. Angesichts der rund 45.000 Polen, die an Schulen mit Militärunterricht oder in Organisationen mit Militärübungen engagiert sind, könnten viele Helfer bereit stehen.
Ähnlich ist es auch in der baltischen Nachbarschaft, wo die Sorgen über die Entwicklung in der Ukraine ebenfalls groß sind. Viele Bürger bereiten sich in Landeswehren freiwillig darauf vor, ihre Heimat im Ernstfall zu verteidigen: In Lettland, wo die „Zemessardze“ etwa 8.000 Mitglieder hat, sind einer Umfrage zufolge 60 Prozent der Bevölkerung bereit, zur Waffe zu greifen, um ihr Land zu verteidigen.
In Estland werden die gut 3.000 Berufssoldaten von inzwischen fast 15.000 Mitgliedern des Verteidigungsbundes „Kaitseliit“ unterstützt. Hier ist man schon weiter als in Polen: Geführt von Offizieren der Streitkräfte sind die Wochenendsoldaten und Freizeitkämpfer fest in die Landesverteidigung eingebunden.
In Litauen wiederum ist in der vergangenen Woche die Wehrpflicht vorübergehend wieder eingeführt worden. Bis zu 3.500 junge Männer pro Jahr sollen in den kommenden fünf Jahren eine neunmonatige Grundausbildung absolvieren. Bereits im Herbst sollen die ersten Rekruten einberufen werden. Litauen sehe sich wie die gesamte baltische Region einer „realen Bedrohung“ gegenüber und müsse in der Lage sein, sich mindestens drei Tage selbst verteidigen zu können, begründete Staatschefin Dalia Grybauskaite den Schritt.
Auch in Tschechien wächst die Sorge über die eigenen militärischen Fähigkeiten. Die Erinnerung an den Einmarsch von Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968 ist zumindest bei der älteren Generation noch lebendig. Verteidigungsminister Martin Stropnicky will nun die Musterung nach zehnjähriger Unterbrechung wiedereinführen. Das Besondere: Diesmal sollen nicht nur junge Männer, sondern auch Frauen auf ihre körperliche Eignung für den Wehrdienst abgeklopft werden. Demnächst will das Kabinett darüber entscheiden.
Bei einer konkreten Bedrohung soll sich der Musterung eine dreimonatige Grundwehrübung anschließen. „Dieser Fall würde für mich eintreten, wenn sich Russland auf ein militärisches Abenteuer im Baltikum einlässt“, sagte jüngst Stropnicky. Allein auf die 20.000-köpfige Berufsarmee will man sich in Tschechien nicht verlassen: In einer Umfrage sprachen sich zwei Drittel für Übungen an der Waffe aus.