Osterfestspiele Salzburg - Die russische Seele in der deutschen Brust
Salzburg (APA) - Die russische Seele und strammes Deutschtum - diese (nicht nur musikalischen) Klischees sind Montagabend bei den Osterfests...
Salzburg (APA) - Die russische Seele und strammes Deutschtum - diese (nicht nur musikalischen) Klischees sind Montagabend bei den Osterfestspielen Salzburg im Großen Festspielhaus genährt und gepflegt worden. Christian Thielemann hat die „Pathetique“ von Tschaikowski aufs Programm gesetzt und Nikolaj Znaider mit dem Schostakowitsch-Violinkonzert in a-Moll eingeladen: ein Konzertabend voller Widersprüche.
Technisch höchst anspruchsvoll, unsentimental und ruppig in der Melodieführung und dann wieder traurig-resignierend - diese Adjektive passen auf das Geigenkonzert von Dmitri Schostakowitsch. Der Komponist wurde wegen dieses klanglich kratzigen, komplex konstruierten Werkes in den späten 1940er-Jahren von der stalinistischen Kulturpolitik zum „Volksfeind“ gebrandmarkt, obwohl es im Widmungsträger David Oistrach einen prominenten Fürsprecher hatte. Auch Nikolaj Znaider, 40-jähriger Dirigent und Geiger polnisch-jüdischer Abstammung mit dänischem Pass, liebt dieses Werk.
Fast ein wenig schlampig fetzte er die Ton-Kaskaden aus seiner Geige, immer wieder korrigierte er die Intonation. Trotzig, beinahe ärgerlich wirkte sein Spiel in so mancher Passage. Und emotional zugeknöpft, so als wollte er sich nicht in die Karten schauen lassen. Und doch: Znaiders Schostakowitsch-Konzert war umwerfend, weil es nicht nur rhythmisch packend, wild und frech über die Rampe kam, sondern die Klemme, in der Schostakowitsch saß, auf den Punkt brachte: den Kontrast zwischen der verlangten realsozialistischen Volkstümelei und musikalischer raffinierter Intelligenz.
Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden unterstützten ihren Kollegen Znaider bei dieser Arbeit. Wacher als am Tag davor im Tschaikowski-Klavierkonzert begleiteten die Orchestermusiker ihren Solisten, puschten ihn sogar und sorgten für einen mitreißenden Gesamtklang dieses historisch so schwierigen Schlüsselwerkes der modernen Violinliteratur.
Ganz anders dann „Thielemanns Solo“ in Tschaikowskis 6. Symphonie in h-Moll, der „Pathetique“. Zwar ließ der Dirigent auch diesmal keinerlei Sentimentalität aufkommen. Aber er wählte langsame Allegro-Tempi und dämpfte damit die wilden, dramatischen Passagen. Die lyrischen, emotional aufgeladenen Stellen hingegen nahmen die ihrem Chef widerspruchslos folgenden Musiker gestern Abend eher schnell und ohne jegliche Gefühlsduselei. So entstand ein kompaktes, blitzsauberes, diszipliniertes und fast ein wenig militantes Klangbild. Dem Russen Tschaikowski wurde in der deutschen Brust kein Haar gekrümmt, aber so richtig hingeben, schwelgen und berauschen am eigenen Klang konnte er sich dabei nur in wenigen Momenten.