Ein Tor zur Unendlichkeit
Mit mittelalterlicher Pilgermusik und Akram Khans „Kaash“ bewies das Osterfestival auch zum Finale seine Qualität als Brückenbauer zwischen Zeiten und Kulturen.
Hall, Innsbruck –Nach der morgendlichen Trauermette, gestaltet von den Mailänder Cantori Gregoriani, endete Karsamstag Abend das Konzertprogramm des Osterfestivals symbolträchtig für dieses Festspiel: mit früher Musik, sinnlich und kunstvoll, qualitativ und im Forschungshintergrund auf höchstem Niveau, internationale und regionale Kräfte mischend, das Publikum nah ans Geschehen zoomend und sogar aktiv einbindend. Das Ensemble La Camera delle Lacrime unter Bruno Bonhoures Leitung holte für eine sprühend lebendige Wiedergabe des berühmten „Llibre Vermell“ den Haller Chor Stimmsalz und das Kinder-Gesangsstudio Do-Re-Mi aus Telfs auf die Bühne des Salzlagers.
Das „Rote Buch von Montserrat“ aus dem 14. Jahrhundert enthält stilistisch unterschiedliche Pilgermusik in lateinischer, okzitanischer und katalanischer Sprache, klanglich entsprechend in der Mischung aus Marienverehrung und einem kräftigen Volkston. Bonhoure versteht es, daraus einen mitreißenden Abend zu machen, dessen sensible Momente nicht untergehen. Sopran, Flöten, Percussion, Psalter, Fidel u. a. unterstützen die Lieder und prägen die Tänze, die Kinder und Erwachsenen in den Chören vervielfachen die mittelalterliche Musizierlust. Improvisierend und animierend erobert Bonhoure mit diesem Repertoire eine begeisterte Gefolgschaft. Als Zugabe das alte Lied, das zur Hymne Kataloniens wurde, mit seinem ungeschönten Text aus grausamen Zeiten der Verfolgung.
Ganz auf die Sprache des Körpers zurückgeworfen fand man sich wiederum am Ostersonntag in der Dogana wieder: Akram Khans „Kaash“ („Wenn ...“) ist eine unter die Haut gehende Erkundung der Möglichkeitsformen zwischen indischer Tanztradition und zeitgenössischem Bewegungsrepertoire, zwischen den Polen Schöpfung und Zerstörung, Kontemplation und Erregung, technischer Präzision und eruptiver Energie.
„Kaash“ muss keine Geschichte erzählen, um eine zu sein: Für das Stück, 2002 uraufgeführt, 2014 wiederaufgenommen, hat der Londoner Choreograf Khan mit dem Komponisten Nitin Sawhney und dem Bildhauer Anish Kapoor zusammengearbeitet. Letzterer schuf als Bühnenbild ein schwarzes Rechteck in wechselnd beleuchteter Rahmung, eine Art Schwarzes Loch, ein unwägbares Tor zu Unendlichkeit. In ihm treffen sich die Menschheitsfragen und die Mythen, aus ihm tauchen sanftes, fragendes Flüstern, dann wieder aufregende, kraftvolle Rhythmen auf. Die von fünf Tänzern im atemberaubenden Wechsel zwischen kollektivem Körper und gebeuteltem Individuum auf die Bühne gebracht werden.
Ein fulminantes Finale für das diesjährige Osterfestival Tirol, das am Montag zufrieden bilanzierte: Mit 93 Prozent Auslastung und zahlreichen ausverkauften Veranstaltungen blicke man auf eine der erfolgreichsten Auflagen des Festivals zurück, hieß es in einer Aussendung. (u.st., jel)