Davutoglu-Berater: „Europäer haben nur vage Vorstellung über Türkei“

Wien (APA) - Armenier, Christ, Nationalistenhasser und mittlerweile auch Wahlhelfer für die islamische türkische Regierungspartei AKP. Etyen...

Wien (APA) - Armenier, Christ, Nationalistenhasser und mittlerweile auch Wahlhelfer für die islamische türkische Regierungspartei AKP. Etyen Mahcupyan ist seit dem Vorjahr Berater von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Die AKP schickt den Intellektuellen auf Europareise, um im Westen Imagepflege zu betreiben.

Mahcupyan war der Nachfolger des vor acht Jahren ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink als Chef der armenischen Wochenzeitung „Agos“. Er war Kolumnist für „Zaman“, einer Tageszeitung, die der Bewegung des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen nahesteht. Aktuell schreibt er neben seinem Beratungsjob für das regierungsnahe Blatt „Aksam“. Zudem wurde Mahcupyan 2013 als Intellektueller in den „Rat der Weisen“ berufen - ein 63-köpfiges Gremium, das von der türkischen Regierung ins Leben gerufen wurde um für ihren Plan zur Beendigung des Kurdenkonfliktes werben.

Es gebe ein Erklärungsbedarf vonseiten der AKP, erläuterte Mahcupyan im Gespräch mit der APA anlässlich seines dieswöchigen Wien-Besuches. Nicht gegenüber den eigenen Leuten, den türkischen Migranten, sondern „gegenüber dem Westen“.

Die Europäer hätten „nur eine vage Vorstellung, was in der Türkei vorgehe, und sie würden diese als „undemokratisch“ abtun. „Das ist korrekt“, so Mahcupyan. „Die Türkei ist keine Demokratie, sie ist ein Land auf dem Weg zur Demokratisierung.“ Die desaströse Bilanz bei der Pressefreiheit in der Türkei, der immer autoritärer agierende Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und die jüngste Geiselnahme eines Richters, die in einem Blutbad endete sowie massive Zweifel am Polizeiapparat und den Sicherheitsdiensten weckt, ruft im Westen tiefes Misstrauen über die künftige Ausrichtung der Türkei hervor.

In der Türkei gebe es seit mehr als zehn Jahren einen Kampf zwischen der „alten Garde“ und den „neuen, ambitionierten Leuten“, so Mahcupyan. Der AKP als Nachfolgepartei des Islamisten Necmettin Erbakan sei der Aufstieg „der muslimischen Peripherie“ geschuldet. Die AKP habe diese in die Mitte der Gesellschaft katapultiert. Aber noch immer existiere dieser Kampf zwischen den Kemalisten und der AKP, hebt der Regierungsberater hervor. Der westliche Maßstab der Demokratie allein reiche nicht aus um das Land zu verstehen. Es gebe derzeit zur AKP keine Alternative. Sie sei die einzige, die eine Zukunftsvision besitze, auch wenn die Spielregeln nicht immer demokratisch seien.

In der wirtschaftlichen Hochkonjunkturphase während der AKP-Regierungszeit habe es die Partei geschafft, die türkische Mittelkasse auf 40 Prozent anwachsen zu lassen. Daraus erklärten sich ihre Wahlerfolge und die Tatsache, dass sie 45 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte. Zudem habe die AKP „die öffentliche Sphäre für die Muslime und die Kurden geöffnet“.

Er selbst habe kein Vertrauen in die Justiz. Vormals sei die Justiz unabhängig gewesen, aber nie verhältnismäßig“, erklärte er. „Die Richter und Anwälte waren mehr oder weniger in Linie mit der Staatsideologie.“ Aber den Umbau der Justiz, der Polizei und der Bürokratie „nur der AKP zu überlassen“, sieht Mahcupyan nicht als den „Besten der Fälle an“. Die AKP sieht sich dem Berater zufolge innenpolitisch mit vier Gegenspielern konfrontiert: Mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die weiterhin auch bei den Europäern auf der Terrorliste steht, der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen sowie den Oppositionsparteien CHP und MHP im Parlament.

Die jihadistische Organisation „Islamischer Staat“ (IS) sieht die Türkei nicht als Bedrohung. Das sei eine sehr europäische Sichtweise, winkt er ab. In der Türkei möge man die IS-Anhänger nicht, man hasse sie sogar, wird Mahcupyan deutlicher. „Tatsächlich bevorzugen wir die Kurden (an den Außengrenzen der Türkei) im Vergleich mit diesen Leuten. Aber wir wollen nicht die Drecksarbeit für die Welt erledigen.“

Es gebe eine Barriere und zudem die Staatsgrenzen, so Mahcupyan. „Der IS wird diese Grenze nicht überschreiten.“ Aber de facto versuche die Türkei, kein Risiko einzugehen. Außerdem hätten die Jihadisten nichts mit türkischer Innenpolitik zu tun. Die Situation habe keinerlei Auswirkungen auf das Wahlverhalten. „Nicht einmal bei den ganz Säkularen. In diesem Sinne interessiert es uns nicht, was im Mittleren Osten vorgeht. Der Islamische Staat ist nicht unser Nachbar, sie sind nicht unsere Verwandten. Die Milizen des IS sind Terroristen“, erklärte Davutoglus Chefberater entschieden.

Die Türkei wolle in dieser Situation „starke Grenzen“ und Nachbarn, auf die das Land bauen könne. Das sei derzeit Irakisch-Kurdistan (Nord-Irak). Wenn die Verhandlungen mit der PKK positiv verlaufen werden und es eine Lösung des Kurdenkonflikts im eigenen Land gibt, kommt möglicherweise noch ein zweiter Kurdenstaat hinzu“.

In der derzeitigen Situation brauche die Türkei beide, Davutoglu und Erdogan. Die AKP tue gut daran, an Davutoglu festzuhalten, auch nach den Parlamentswahlen im Juni. Aber Erdogan sei derjenige, der die Wählerstimmen für die AKP generiere. „Zumindest auf kurze Distanz“.