Die Verkettung von Huhn, Ei und Fleisch
Lebensmittel sind so sicher wie nie. Trotzdem werden Krankheiten von Tieren übertragen. Eine Spurensuche anlässlich des Weltgesundheitstages.
Von Deborah Darnhofer
Innsbruck –Geschlüpft in Polen, gemästet in der Slowakei, geschlachtet in Deutschland und verkauft in Österreich: In seinem kurzen Leben hat ein Huhn heutzutage oft eine lange Reise hinter sich. Zwischen Ei und Grillhendl können Tausende Kilometer und zahlreiche Stationen liegen. Denn durch die industrialisierte Produktion wird die Lebensmittelkette länger und komplexer. Das hat seine Vor- und Nachteile, sagt Franz Allerberger, Humanmediziner von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Wien. Grund genug, dass der heutige Weltgesundheitstag ganz im Zeichen der Lebensmittelsicherheit steht.
„Die Lebensmittel sind so sicher, wie sie noch nie waren. Die Verunsicherung von Konsumenten ist aber nachvollziehbar, denn Erkrankungen passieren“, so Allerberger. EHEC, Sars und andere vom Tier zu Mensch übertragene Krankheiten (so genannte Zoonosen) sind vielen noch in Erinnerung geblieben. In Tirol sorgten im vergangenen Sommer 61 Salmonellen-Fälle für Schlagzeilen. 51 Senioren waren darunter, ein Erkrankter starb.
„Das heißt aber nicht, dass es in Tirol weniger sichere Lebensmittel gäbe“, betont der AGES-Experte. Er lobt vielmehr die Tiroler, „weil sie genauer hinsehen, Mut haben, die Fälle zu melden und somit eine genaue Abklärung erst ermöglichen“. Deshalb habe Tirol im Bundesländervergleich mehr registrierte, lebensmittelbedingte Erkrankungen.
Doch die Fehler passieren in der Lebensmittelherstellung. Die Tiroler Senioren erkrankten durch importierte, infizierte Eier. Damals war beim deutschen Produzenten der Impfschutz für die Käfighühner nicht wirksam, denn die Tiere waren zu alt. Zudem wurden ihre Eier fälschlicherweise als „aus Bodenhaltung“ deklariert und verkauft, berichtet Allerberger. Auch in anderen europäischen Staaten gab es deshalb Salmonellen-Ausbrüche, in Großbritannien ein zweites Todesopfer.
Salmonellen sind laut der AGES aber auf dem Rückzug. Wurden 2014 in Österreich insgesamt knapp über 1600 Fälle registriert, waren es vor zehn Jahren noch weit über 8000. Durch die hochtechnisierte Lebensmittelproduktion können Gefahren nämlich nicht nur entstehen, sondern auch getilgt werden.
Weltgesundheitstag 2015: Lebensmittelsicherheit als Thema
Durch Lebensmittel können mehr als 200 Krankheiten übertragen werden. Sie sind meist durch Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten) oder Chemikalien verursacht. Die Folgen reichen von Übelkeit, Erbrechen, Durchfall über Nieren- und Leberversagen bis hin zu neuronalen Störungen, Arthritis, Krebs und Tod.
Die Krankheiten stellen laut WHO selbst in den entwickeltsten Ländern eine „beträchtliche Belastung für die öffentliche Gesundheit“ dar. Durch den ausgeweiteten Reise- und Handelsverkehr können Erreger auch über weite Wege hinweg übertragen werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer grenzüberschreitenden Ausbreitung von Lebensmittelverseuchungen.
2013 waren in den Ländern der EU und des Europäischen Wirtschaftraumes allein 310.000 Menschen an bakteriellen Lebensmittelinfektionen erkrankt, 322 starben daran. In der EU gibt es jährlich über 85.000 Salmonellen-Erkrankungen.
In Österreich waren 2013 von insgesamt 31.333 untersuchten Lebensmittelproben 0,4 Prozent gesundheitsschädlich. 2014 gab es 13 Todesfälle, zwölf durch Listerien, einen durch Salmonellen.
Ein Beispiel: „Trichine, kleine Wurmlarven, die man über infiziertes Schweinefleisch bekommen hat, gibt es heutzutage nicht mehr. Jedes einzelne Schwein, das in Österreich geschlachtet wird, wird zwar noch auf Trichinen untersucht, in 30 Jahren gab es jedoch keinen einzigen positiven Schlachtkörper.“ Viele Krankheiten würden verschwinden, nur seien die Menschen sich dessen nicht bewusst.
Sorgen bereiten Allerberger Campylobacter. Das sind Bakterien, die Durchfallerkrankungen, aber auch neurologische Störungen verursachen können. Vor allem Geflügelfleisch ist mit den gesundheitsschädlichen Keimen belastet. In Österreich wurden 2014 über 6500 Erkrankungen gemeldet.
In Deutschland steigt ebenfalls die Zahl. Dort schlagen Experten deshalb vor, dass Konsumenten in ihrer Küche Geflügelfleisch nur noch mit Handschuhen anfassen sollen, erzählt Allerberger. Für ihn geht das zu weit. „Der Produzent ist hier gefragt. Beim Schlachthof muss die Hygiene verbessert und das Fleisch bakterienfrei werden.“ In Island funktioniere das bereits. Dort ist der Preis für das Geflügel deshalb allerdings etwas höher.
Mit unserem Essen laufe laut Allerberger, allgemein gesehen, aber „nichts schief“. Auch Konsumenten verlängern mit ihren Kauf- und Essengewohnheiten ihrerseits die Lebensmittelkette. „Wir müssen akzeptieren, dass unser Lebensstil und -standard nur durch industrielle Lebensmittelproduktion möglich ist. Denn der Konsument wählt letztlich oftmals das, was am billigsten ist“, meint der 58-jährige Mediziner von der AGES.
Noch ein anderer Punkt sorgt für weitere Glieder an der Kette. Der Fleischkonsum in Österreich könne nicht allein durch heimisches Vieh gedeckt werden. „Man darf keine große Illusion haben. Konsumenten wollen oft nicht wahrhaben, dass es etwa in Tirol so gut wie keine Schweinefleischproduktion gibt. Über 90 Prozent vom Rindfleisch werden ebenfalls importiert.“
Ob das Rindsschnitzel nun direkt vom Bauern im Dorf oder vom großen Mastbetrieb in Osteuropa kommt und die Lebensmittelkette damit kurz oder lang ist: Am Ende des Tages zählt für Allerberger, dass die Lebensmittel sicher sind.