Insekten essen: Österreich kostet vom Dschungel
Zwei Milliarden Menschen essen Käfer, Grillen und Würmer. Bei uns gilt das noch als Dschungel-Mutprobe. Ein Verein und ein junger Haubenkoch wollen das ändern.
Von Deborah Darnhofer
Innsbruck –Mehlwürmer, Wachsmotten, Grillen und Buffalowürmer: Was wie eine Dschungelprüfung aus dem Fernsehen klingt, lag gestern Abend in Österreich auf exquisiten Tellern. Zum zweiten Mal wurde in Wien mit Hauben und essbaren Insekten gekocht.
Drei-Hauben-Koch Harald Irka (23) vom steierischen Gourmet-Tempel Saziani Stub’n zauberte im Wiener Futurefoodstudio von Ernährungstrendforscherin Hanni Rützler mit Krabbeltieren ein Fünf-Gang-Menü. „Er hat Freude am Experimentieren und schafft geschmacklich tolle Kombinationen“, erzählt Organisator Christoph Thomann vom Verein „Speiseplan“. Dieser wurde im Sommer 2014 gegründet, um das Bewusstsein für essbare Insekten zu fördern.
Beim Insektendinner und anderen Veranstaltungen würden die Menschen Interesse und vor allem Neugierde zeigen. Dabei gehe es jedoch längst nicht mehr um den Mut, scheinbar ekelige Insekten zu essen. „Es ist etwas Neues und das wollen interessierte Menschen ausprobieren“, meint Thomann. Neben Verkostungen bietet der Verein Kochkurse und Workshops an. „Wir planen auch Schulprojekte, damit Ekel erst gar nicht entsteht.“
Davon hat sich Küchenvirtuose Irka längst verabschiedet. Der 23-Jährige kochte zum zweiten Mal ein Insektendinner. Mit Insekten zu arbeiten, ist eine Herausforderung. Denn die meisten Tiere gelten als geschmacksneutral. Einige Arten haben ein leicht nussiges Aroma. Wenig Geschmack also, aber gute Inhaltsstoffe: Insekten enthalten hochwertiges Eiweiß, wichtige Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Außerdem stecken in ihnen größtenteils ungesättigte Fettsäuren.
Eine „echte Alternative“ zu herkömmlichen Fleisch. Das findet nicht nur Thomann, sondern auch Hanni Rützler. „Insekten haben in der Foodszene keinen Gruselfaktor mehr. In puncto Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sind sie beliebt.“ Denn um Insekten zu züchten, wird wenig Platz, Futter und Wasser benötigt. Ein Kilogramm Insekten verbraucht im Vergleich zu einem Kilo Rindfleisch etwa ein Tausendstel Wasser.
Doch trotz ihrer Vorteile sind die essbaren Krabbeltiere in Europa noch ein Nischenprodukt. „Wenn die Insekten ihren Exotencharakter in naher Zukunft einbüßen, wäre das ein Erfolg“, sagt Rützler und glaubt daran. Die kulturellen Ernährungsgewohnheiten würden zunehmend aufbrechen und Insekten könnten in wenigen Jahren in den heimischen Küchen zum großen Thema werden.
Auch die Weltausstellung Expo in Mailand, die letzten Freitag eröffnet wurde, hat sich ganz dem Thema „Ernährung der Zukunft“ verschrieben. Denn während die Weltbevölkerung weiter wächst, verringern sich die landwirtschaftlichen Anbauflächen. Um den Hunger der Massen zu stillen, braucht es Alternativen – auch mit Fühlern, Panzer und Beinchen.
Ganz so drastisch wie dieses Szenario augenscheinlich wirkt, ist es freilich nicht. Denn die Insekten können pulverisiert und so unkenntlich gemacht werden. Beim ersten Insektendinner von Irka wurden Wachsmotten zunächst in einer Sauce versteckt. „Doch die Teilnehmer wollten die Insekten auf dem Teller sehen. Gestern wurden daher nur ganze Tiere gereicht“, erklärt Thomann. Auch am vergangenen Wochenende standen die Tierchen bei einem Straßenmarkt in der Wiener Marxhalle im Mittelpunkt. „1000 Leute haben von den Insekten gekostet und nicht einer meinte, es schmecke ihm nicht.“ Bis die Kreationen in heimischen Restaurants Einzug halten, wird es allerdings noch dauern.
In anderen europäischen Ländern sind Insekten hingegen schon in Supermarktregalen zu finden. In Belgien und den Niederlanden gibt es laut Thomann nationale Genehmigungen, um Insekten zu züchten und für den menschlichen Verzehr anzubieten. In Österreich sei das noch nicht möglich.
Bereits seit zehn Jahren befasst sich Andreas Pollner aus Dornbirn mit Heuschrecken. Bis vor Kurzem verkaufte er sie ausschließlich als Futtermittel für andere Tiere wie etwa Amphibien. Doch Ende letzten Jahres hat er mit Thomann begonnen, exklusiv für den jungen Verein Heuschrecken für den menschlichen Verzehr zu züchten. Und sobald die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen, will der Vorarlberger seine Tiere auf Österreichs Tellern ausschwärmen lassen.
Der Appell der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, wonach mehr Insekten gegessen werden sollten, um den Bedarf an Fleisch zu decken, sorgt nicht mehr für Kopfschütteln. Im Gegenteil: Wie man sieht, rauchen auch in Österreich die Köpfe und Kochtöpfe, um Insekten in den Küchen bekannter zu machen.
Fakten und Informationen rund um das Thema „Insekten essen“
Entomophagie bezeichnet den Verzehr von Insekten durch Menschen. Weltweit gelten über 1900 Insektenarten als essbar. Sie werden von rund zwei Milliarden Menschen, vor allem in Asien, Lateinamerika und Afrika, verspeist.
Die am häufigsten verzehrten Insekten sind laut Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) Käfer (31 %), Raupen (18 %), Bienen, Wespen und Ameisen (14 %), Grashüpfer, Heuschrecken, Grillen (10 %), Zikaden, Wanzen und Pflanzenläuse (10 %) sowie andere Gattungen (17 %).
Die Mehrzahl der bekannten essbaren Insekten wird laut FAO in der Wildnis eingefangen. Aufgrund der Schwermetallbelastung der Böden geschieht dies laut dem Verein „Speiseplan“ in Europa nicht. Hier gibt es Zuchtfarmen. Circa zehn Arten werden derzeit in europäischen Ländern verspeist. Sie sind meistens gefriergetrocknet über Internethändler erhältlich. In Deutschland gibt es schon Restaurants, die Krabbeltiere anbieten.
In Österreich setzt sich der Verein „Speiseplan“ (www.speiseplan.wien) für Entomophagie ein. Im Futurefoodstudio von Hanni Rützler in Wien wird es im heurigen Herbst wieder Insektendinner geben.
Risiken durch den Verzehr von Insekten sieht die FAO – werden alle hygienischen Bestimmungen eingehalten – keine. Es gebe derzeit keine bekannten Krankheitsfälle. Allergien könnten aber auftreten.