Corona-Krise

Gratis-Masken für Senioren: Verhandlung im Geheimen mit Hygiene Austria

Wirtschaftsministerin Schramböck (r.) und Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner (beide ÖVP) besuchten Hygiene Austria.
© APA/ROBERT JAEGER

Gratis-FFP2 für Senioren: Regierung soll exklusiv mit Maskenhersteller gesprochen haben. Die Opposition will jetzt mehr darüber wissen.

Wien – Erst Mitte Jänner hat sich Palmers-Chef und Hygiene-Austria-Geschäftsführer Tino Wieser über die Beschaffung der rund 17 Millionen FFP2-Masken für über 65-Jährige durch die türkis-grüne Bundesregierung aufgeregt. Gefertigt seien die Masken in China, zertifiziert in der Türkei und importiert von einem niederösterreichischen Unternehmen, monierte Wieser in den Salzburger Nachrichten.

Nun ist Hygiene Austria – ein Joint Venture von Lenzing und Palmers – selbst mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Das Unternehmen soll Masken aus China billig gekauft, umetikettiert und teuer als österreichische Produkte vertrieben haben. Zudem wird dem Unternehmen organisierte Schwarzarbeit vorgeworfen. Hygiene Austria weist die Vorwürfe zurück.

Nach anfänglichem Leugnen gestand der Maskenhersteller dann aber ein, chinesische Produkte zum Ausgleich von Auftragsspitzen zugekauft zu haben. Und die Masken wurden in Ungarn zertifiziert. Das CE-Kennzeichen der Masken wurde von den Ungarn gemacht, ein Schweizer Institut übernahm die Qualitätskon­trolle für die zugekauften, chinesischen Masken, wie ein Hygiene-Austria-Sprecher sagt.

Supermärkte hatten die FFP2-Masken von Hygiene Austria bis vor Kurzem im Sortiment. Was ist mit jenen, die im Umlauf sind – sind sie unbrauchbar? Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen sagt auf Anfrage der Tiroler Tageszeitung: „Wenn eine Maske mit einer Zertifizierung versehen ist – also mit den Zeichen CE und einer vierstelligen Nummer –, kann der Kunde davon ausgehen, dass diese Maske dem FFP2-Standard entspricht.“

Nach der Razzia an zwei Standorten in Wien und Wiener Neudorf kommen immer mehr Details zutage – vor allem im Zusammenhang mit dem Beschaffungsvorgang der Gratis-FFP2-Masken für Senioren. Profil und Standard zitieren dabei aus geheimen Dokumenten.

Demnach war im November das Projekt „65+“ im Ministerrat besprochen worden. Allerdings wurde der entsprechende Ministerratsvortrag nicht veröffentlicht. Bei den Gesprächen im Vorfeld sei dazu als einziger österreichischer Anbieter die Hygiene Austria mit am (virtuellen) Tisch gesessen. Zwar sei im Ministerrat dann selbst keine Festlegung auf die Provenienz der FFP2-Masken getroffen worden – laut einem Schreiben einer Spitzenbeamtin an die Kabinettschefin von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sei jedoch „am Rand deutlich kommuniziert“ worden, dass „die Bundesregierung in diesem Vorhaben gerne österreichische Firmen/Produkte beschaffen würde“. Wer wäre dafür infrage gekommen? Hygiene Austria sei „derzeit der einzige österreichische Anbieter dafür“, zitiert das profil. Pikant ist das deshalb, weil die Büroleiterin von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Tino Wieser verschwägert ist, ihr Ehemann ist Luca Wieser, Co-Vorstand von Palmers.

Zurück zum Projekt „65+“: Schon damals gab es laut den Medienberichten Hinweise auf Qualitätsmängel bei den Hygiene-Masken, die aber für die Regierung zunächst offenbar keinen Grund geliefert haben sollen, sich einen anderen Anbieter zu suchen. Im Endeffekt kam aber wegen des deutlichen Preisunterschieds doch nicht die Hygiene Austria zum Zug, sondern ein österreichischer Händler mit CE-zertifizierter Ware aus China.

Die Opposition sieht Dubioses. SPÖ und NEOS wollen nächste Woche im „kleinen Untersuchungsausschuss“ zur Beschaffungspolitik in der Corona-Pandemie auch die Causa Hygiene Austria thematisieren. Warum sei das Unternehmen für die FFP2-Maskenlieferung für Senioren trotz höheren Preises überhaupt in Betracht gezogen worden, fragt SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Wissen will er auch, ob es den Versuch der Bevorzugung von Hygiene Austria durch die Bundesregierung bei der Auftragsvergabe gab – und ob ein Zusammenhang mit der persönlichen Beziehung zwischen Firmenführung und Umfeld des Kanzlers bestehe.

Ähnliche Fragen stellen auch die NEOS. Vize-Klubchef Nikolaus Scherak ortet überhaupt ein „umfassendes Transparenzproblem“.

Für die FPÖ ist der Fall ein Grund für einen politischen Wechsel. Parteichef Norbert Hofer bezeichnet eine Neuwahl des Nationalrats als „überfällig“, denn: „Die österreichische Bundesregierung trägt eine Mitverantwortung.“

Der Kanzler sieht keine politischen Verfehlungen in der Sache. Kurz, der so wie andere ÖVP-Politiker den Firmensitz von Hygiene Austria besucht hatte, sagte gestern auf Journalistenfragen, ob auch er hinters Licht geführt worden sei: „Wenn es hier Betrug gibt, dann sind wir alle betrogen worden.“ (sas, APA)

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