Bühne

“Glaube und Heimat“: Blutbefleckter Jihad im ketzerischen Zillertal

Bühnenmusiker Kyrre Kvam (vo. links) begleitet die vertriebenen Protestanten mit vertonten Gedichten von Gryphius und Rilke.
© Josefstadt/Moritz Schell

Die Premiere von Karl Schönherrs „Glaube und Heimat“ am Theater in der Josefstadt wurde bejubelt, aber sie wirft viele Fragen auf.

Von Bernadette Lietzow

Wien – Der Germanist Johann Holzner empfiehlt, Schönherr mit „Argusaugen zu lesen und dementsprechend behutsam zu inszenieren“. Martin Kušej, dem am Burgtheater mit seinen Inszenierungen von „Glaube und Heimat“ wie auch „Der Weibsteufel“ ein exemplarisches neues Nachdenken über den Autor gelang, verschrieb sich wohl nur Ersterem. Seine Schönherr-Abende bohrten sich tief durch die immer wieder volkstümelnden und völkischen Schichten (Schönherrs ambivalente Hinwendung zum Deutschnationalen, später zum Nationalsozialismus, ist bekannt) zum existenziellen Kern der Stücke.

Wie gut diesen Theater-Holzschnitten Radikalität tut und wie wenig Strahlkraft ein Stück wie „Glaube und Heimat“ (uraufgeführt 1910) haben kann, wenn man es mit allem Bemühen gleichsam vom Blatt inszeniert, zeigte die Josefstadt-Premiere vom vergangenen Donnerstag.

Regisseurin Stephanie Mohr und großes Ensemble begeben sich auf theatrale Zeitreise und landen bei der legendären Exl-Bühne: artig bis großartig gespielt, aber heute Mottenkiste. Vier sich immer wieder drehende Räume, zweimal helle Bauernstube mit Herrgottswinkel, zweimal dunkles Draußen (Bühne: Miriam Busch) markieren die „Heimat“ der Tiroler Bauernfamilien Rott und Sandperger und im erweiterten Sinn all jener, die nicht bereit sind, dem „lutherischen“ Glauben abzuschwören und auf kaiserlichen Erlass vertrieben werden sollen.

Exekutor des Befehls ist der blutrünstige Reiter und ehemalige Mönch, dem Claudius von Stolzmann interessante Züge eines gefährlichen wie sentimentalen Eiferers verleiht. Während der Altbauer Rott (Michael König) lange glaubt, mit Schein-Konversion durchzukommen, halten seine Söhne am evangelischen Glauben fest. Raphael von Bargen (etwas knorrig) verkörpert Karl Schönherrs aufrecht-beharrlichen Helden Christoph Rott, der dem Feind auch den Freitod seines jungen Sohnes (hyperaktiv: Swintha Gersthofer) verzeihen wird, während sein Bruder Peter (berührend: Gerhard Kasal) der schieren Verzweiflung anheimgefallen ist. Silvia Meisterle (die katholische „Rottin“), Elfriede Schüsseleder als deren Mutter und Alexandra Krismer als vom Reiter gemeuchelte Sandpergerin stemmen souverän ihre eher undankbaren Rollen. Spannend wird der Abend an den Rändern, wenn mit Kesselflick-Wolf (Ljubiša Lupo Grujcˇic´) und Straßentrapperl (Susanna Wiegand) zwei sehr heutige Obdachlose, „Fremde“ (vergeblich?) Anschluss an die Gemeinschaft der Vertriebenen suchen. Ob das begeisterte Premierenpublikum, so wie es der Wunsch der Regisseurin wäre, seine Schlüsse zieht zu religiöser Intoleranz und Ausgrenzung im Hier und Jetzt, sei dahingestellt.

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