Salzburger Festspiele

„Jedermann“-Premiere: Ernüchtert auf dem letzten Weg

Gemeinsam auf der Salzburger Festspielbühne: Tobias Moretti und Georg Bloeb im "Jedermann".
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Erst kam das Sterben, dann der Sturm: Gelungene Wiederaufnahme des „nachgeschärften“ „Jedermann“ in Salzburg.

Von Joachim Leitner

Salzburg –Er ist, was er ist, der Salzburger „Jedermann“: Figurentheater, Gewissenserforschung, Schaulaufen für Schauspieler – aber auch für Adabei und Gernegroß. Recht viel mehr kann, recht viel mehr will er wohl gar nicht sein. Jedenfalls nicht mehr. Allzu viel Neu- oder Umdeutung hält dieses Stück nicht aus. Dafür müsste es – Ferdinand Schmalz lässt grüßen – neu geschrieben werden. Aber auch dann geht etwas verloren. Man kann es Zauber nennen. Oder Tradition. Kitsch vielleicht, Klischee.

696-mal wurde Hugo von Hofmannsthals in Vers gegossenes „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ bei den Salzburger Festspielen bislang gespielt. Mit Aufführung Nummer 697 ging der „Jedermann“ am Samstagabend in sein 99. Jahr – und das dort, wo die schicksalhafte Show hingehört: auf dem Domplatz. Und der Domplatz, oder genauer gesagt: die Unwägbarkeiten drumherum, trugen ihr Scherflein zum Gelingen dieser – so Regisseur Michael Sturminger – „nachgeschärften“ Wiederaufnahme bei. Denn allen Prognosen zum Trotz kündigte sich Ungemach an. Und das – ganz so, als sei’s bestellt – ausgerechnet, als es hochdramatisch wird; als der Teufel (Gregor Bloéb, der sich als Krawall-Krampus richtig austoben darf) teufelt und sich die guten Werke (bestechend: Mavie Hörbiger) wehren; als der Glaube (Falk Rockstroh) mit seinen Kruzifix-­Colts droht. Doch es blieb bei Wind und Wetterleuchten. Erste Tropfen fielen erst, als der Jedermann seinen letzten Weg hinter sich hatte. Pünktlich zum Schlussapplaus also. Der dürfte auch deshalb – manch einer hat mitgestoppt – um 25 Sekunden kürzer gewesen sein als 2018. Damals ging der Spielzeitstart wetterbedingt im Festspielhaus über die Bühne. 2017 auch. Drei Jahre musste Tobias Moretti auf seine erste Domplatz-Premiere als todgeweihter Lebemann warten.

Wie Regisseur Sturminger an der Inszenierung hat auch Moretti erneut an seinem Jedermann gefeilt: Er ist aggressiver geworden, körperlicher. Einmal geht er seine Buhlschaft an, reißt an ihren Haaren. Verzweiflung und das Unvermögen, sie in Worte zu fassen, entladen sich im Übergriff. Erschreckend. Dieser Jedermann ahnt das, was ihm droht. Noch bevor ihm der Tod (brillant: Peter Lohmeyer) zu Leibe rückt, bevor im – ganz konkret – der Boden unter den Füßen wegbricht. Für diesen Jedermann gibt es keinen Rausch, keine zügellose Lust am Laster. Nur die Ernüchterung danach. Selbst das Geld, das sein Guter Gesell (Gregor Bloéb in seiner zweiten, etwas blasseren Rolle als öliger Erbsenzähler) für ihn verwahrt, gestattet kaum Erleichterung. Moretti spielt den Jedermann als „Dead Man Walking“: müde, fahrig, aschfahl. Beinahe möchte man Mitleid mit ihm haben. Wünscht ihm Erlösung. Oder wenigstens zwei Fingerbreit Hoffnung. Kurzum: stark.

Und die Buhle? Sagen wir es so: Valery Tscheplanowa macht aus der Unterforderung, die der Part für eine Darstellerin ihres Kalibers bedeuten muss, eine Tugend, ein luftig leichtes Kabinettstück. Ganz selbstbewusst geigt sie dem Jedermann die Meinung. Ganz ohne faules Pathos lässt sie ihn stehen, wenn es die Logik des Stationentheaters verlangt. Das kühle Ende einer Lebensabschnittspartnerschaft. Und genauso fühlt es sich auch an. Außerdem tollt und tanzt diese Buhlschaft ganz wunderbar. Komponist Wolfgang Mitterer hat ihr ein kühnes Auftrittslied auf den Leib komponiert, eine beschwingte Moritat.

Den funkelndsten und anrührendsten Auftritt allerdings hat Helmut Mooshammer als bettelnder Nachbar: Da ist in kleine Gesten, ein leichtes Zucken hier, ein Kratzen da, alles hochverdichtet, was diese kleine große Welttragödie ausmacht. Aufmerksame Beobachter könnten Mooshammer vor der Aufführung als ziellos vor dem Domplatz umherstreifenden Sandler ausgemacht haben. Theatergänger und Jedermann-Schauer allerdings gaben sich größte Mühe, ihn nicht zu sehen. Steckt doch in jedermann ein Jedermann?

Dieser „Jedermann“ jedenfalls wird bleiben. Auch 2020 zum 100-Jahr-Festspieljubiläum wird er weitererzählt werden. Ein Glück.

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